Auch nach dem Kompromiss zur neuen EU-Urheberrechtsdirektive geht der Streit weiter – in der EU wie auch unter Interessenvertretern. Insbesondere die zu erwartenden Uploadfilter und das Presse-Leistungsschutzrecht sorgen für Kontroversen. In rund vier Wochen entscheidet die finale Abstimmung des EU-Parlaments.
Die EU-Richtlinie für ein neues digitales Urheberrecht steht. Nach jahrelangen Vorarbeiten und zuletzt monatelangen (Trilog-)Verhandlungen zwischen EU-Kommission, -Rat und -Parlament liegt eine Fassung vor, die der Rat bereits verabschiedete und über die nun noch die EU-Parlamentarier abstimmen müssen.
Wie fast nicht anders zu erwarten, sind nicht alle glücklich über den Vorschlag. Für Kontroversen sorgt vor allem die neue Haftung für Plattformbetreiber bei Urheberrechtsverletzungen, die in Artikel 13 der Reform formuliert ist. Sie wird unter dem Stichwort Uploadfilter vor allem von der Netzcommunity, aber auch von der Internetwirtschaft kritisiert, während viele Verwerter- und Urheberverbände sie verteidigen.
Wieso wird das EU-Urheberrecht reformiert?
Die letzte größere Reform des Urheberrechts auf EU-Ebene fand 2001 statt: Die Richtlinie 2001/29/EG zur „Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“. 2001 gab es Internet zwar schon, aber noch kein Facebook, Youtube oder Spotify. Google hatte erst fünf Jahre vorher angefangen. Napster führte das Filesharing in die Jugendzimmer ein und bereitete der Musik- und Filmindustrie ernsthaftes Kopfzerbrechen.
Es hat sich viel verändert. Ein neues Urheberrecht soll diese Veränderungen reflektieren. Um einen digitalen Binnenmarkt zu etablieren, muss außerdem die rechtliche Situation in den Mitgliedsstaaten einander angeglichen werden. Das ist das erklärte Ziel der EU-Politik, allen voran des gegenwärtigen Kommissars für den digitalen Binnenmarkt, Andrus Ansip.
Da die EU-Mitgliedsstaaten unterschiedliche Vorstellungen und Interessen haben, eine Harmonisierung des Urheberrechts viele länderspezifische Regelungen überwinden muss und zudem auch die Befindlichkeiten von Wirtschaft und Zivilgesellschaft berücksichtigt werden sollen, dauert der Prozess nun schon einige Jahre an.
Was sind die wichtigsten Punkte der EU-Urheberrechtsreform?
Viele Reformbemühungen der EU zielen darauf, den Binnenmarkt voranzutreiben. So haben zum Beispiel die jüngst veranlassten Verordnungen zu Portabilität und Geoblocking das Ziel, Nutzer*innen in der EU zu ermöglichen, dass sie Video- und Audioinhalte grenzüberschreitend anschauen können. So sollen Kund*innen von Streaming-Services diese auch außerhalb des Landes, wo sie sie gekauft haben, nutzen können.
Auch mit der nun erarbeiten „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ (PDF in der englischen Fassung vom 20.2.2019) will die EU den Binnenmarkt stärken, in dem sie Regulierungen für alle Mitgliedsländer angleicht. Dazu gibt es unter anderem folgende Regelungen:
- Die Situation für Studierende und Lehrende soll erleichtert werden, damit sie Lehrmaterialen digital nutzen können.
- Eine in Deutschland bereits eingeführte Ausnahmeregelung für Text- und Data-Mining von Forschungsorganisationen zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung soll EU-weit gelten.
- Einrichtungen des Kulturerbes soll es erlaubt sein, digitale Kopien von Werken aus in ihren Sammlungen anzufertigen, um sie zu erhalten oder online zu stellen.
- Urheber*innen sollen mehr Rechte gegenüber Verwertern erhalten, etwa einen Auskunftsanspruch, wie ihre Werke verwertet werden, oder einen Anspruch auf nachträgliche Vertragsanpassungen.
Auch diesen Artikeln gibt es Kritik: etwa dass es bei der Text- und Data-Mining-Erlaubnis zu viele Einschränkungen gebe oder dass Verwertern verboten wird, Total-Buy-out-Verträge mit Urhebern abzuschließen, wie es in einem früheren Entwurf vorgesehen war. Zu Unmut bei Urheber*innen führt auch die geplante Erlaubnis der Beteiligung von Verlegern an gesetzlichen Kopiervergütungen. Diese ist in Deutschland seit 2016 nicht mehr zulässig.
Besonders heftigen Streit gibt es aber vor allem um zwei Regelungen: Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage und die Haftung für Urheberrechtsverletzungen für Plattformbetreiber. Kritiker befürchten, dass die neuen Haftungsregeln direkt dazu führen, dass Anbieter wie Youtube/Google, Facebook und andere flächendeckend Uploadfilter installieren müssen. Beide Regelungen könnten Auswirkungen auf die Veröffentlichungs- und Meinungsfreiheit haben, die für viele das freie und offene Internet ausmacht.
Wieso reden alle von Uploadfiltern? Das steht doch gar nicht im Text.
Bei der Diskussion über Uploadfilter geht es eigentlich um die Frage, wer für illegal hochgeladene Inhalte haftet. Bisher müssen Plattformbetreiber wie Youtube, aber auch Wikipedia oder kleinere Anbieter von nutzergenerierten Inhalten, diese erst von ihrer Plattform nehmen, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Mit dem neuen Artikel 13 der Reform wären sie dazu gezwungen, solche Inhalte vorher schon abzufangen – oder im Vorfeld Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern abzuschließen. Ersteres geht aber nur durch ein automatisiertes Erkennungssystem – also Uploadfilter –, zweites ist gerade für kleine Anbieter so teuer, dass sie es nicht leisten können. Und auch sie müssten – dann erst recht – alle hochgeladenen Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen prüfen.
Die erwähnten Uploadfilter existieren bereits – und werden auch eingesetzt, allen voran Youtubes „Content ID“-System. Dabei scannt Youtube alle hochgeladenen Inhalte automatisiert und entscheidet anhand eines Vergleichs mit einer riesigen, ständig wachsenden Datenbank, ob der Inhalt urheberrechtlich geschützt ist. Die Rechteinhaber können bei Youtube hinterlegen, was dann geschehen soll: Soll der Inhalt ganz gesperrt werden; darf er veröffentlicht, aber über Werbung monetarisiert werden?
Hört sich doch gut an, wo ist das Problem?
Content ID kann nicht unterscheiden zwischen legitimer Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten, wie etwa Zitaten, freier Benutzung oder Satire, und urheberrechtlich relevanter Nutzung – für die die Rechteinhaber tatsächlich ein Schutzrecht einfordern können. Kleine Anbieter wären darauf angewiesen, solche Filtersysteme von großen Firmen zu lizenzieren – nicht jeder kann so etwas selbst entwickeln. Das wiederum könnte große Anbieter stärken und zu einer Monopolisierung führen, wie auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnt.
Die Befürworter der Regelung entgegnen, dass es Beschwerdemöglichkeiten geben soll, damit sich Nutzer*innen gegen unrechtmäßige Sperrungen wehren können. Außerdem sehe die Richtlinie in Artikel 13 Ausnahmen vor, unter anderem für Memes und Parodien sowie für Plattformen, die jünger als drei Jahre sind, weniger als 10 Millionen Euro Umsatz machen und weniger als 5 Millionen Besucher pro Monat haben. Diese Regelungen werden von Kritiker*innen jedoch als nicht ausreichend beurteilt.
Schon jetzt sperrt Youtubes Content-ID-System immer wieder Inhalte unrechtmäßig – Nutzer*innen müssen dann viel Zeit und Energie investieren, um die Inhalte wieder zugänglich zu machen. So merkt das System offensichtlich nicht, dass eine Beethoven-Aufnahme, die schon vor mehr als 70 Jahren entstanden ist und auf der keine Schutzrechte mehr liegen, frei zugänglich sein müsste.
Worum geht es beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage?
Einige Verlage von Presseerzeugnissen – Magazine, Tageszeitungen und andere journalistische Produkte – möchten, dass Suchmaschinen und Aggregatoren, die selbst keine journalistischen Inhalte erstellen, aber vorhandene sammeln und zugänglich machen, für diese Leistung bezahlen. Dabei geht es vor allem um die Nutzung von Links, Überschriften und kurzen Zusammenfassungen (sogenannten Snippets).
Leistungsschutzrechte für Presseverleger gibt es in Deutschland schon seit 2013. Sie sollen über die Reform EU-weit in ähnlicher Ausprägung eingeführt werden. Dabei sind sie hierzulande nicht wirklich ein Erfolgsmodell: Google hat mit den meisten Presseverlegern Vereinbarungen getroffen, dass sie ihre Inhalte kostenlos hergeben und Google damit keine Vergütungen für das Leistungsschutzrecht zahlen muss. In Spanien, wo ebenfalls ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger existiert, hat Google sein Angebot „Google News“ eingestellt, weil eine solche Einigung nicht möglich war.
Eine Befürchtung ist, dass wenn ein solches Recht EU-weit eingeführt wird, auch andere, kleinere Anbieter unter dieses Gesetz fallen und abgemahnt werden können, wenn sie auf Inhalte aus Presseerzeugnissen verweisen, beispielsweise Blogs. Zusammenfassend gesagt könnte diese Regelung auch in der EU so nutzlos bleiben, wie sie bisher in Deutschland ist. Gleichwohl könnte sie für Verunsicherungen und Selbstzensur sorgen.
Wie geht es jetzt weiter?
Nachdem am 20. Februar im Europarat 21 von 28 Regierungen für den Entwurf stimmten, darunter auch Deutschland, votierte vor wenigen Tagen auch der zuständige Rechtsausschuss dafür. Nun müssen noch die 751 Parlamentarier*innen des Europaparlaments ihre Stimme abgeben, was laut Parlamentskalender entweder vom 25. bis 28. März, am 4. April oder vom 15. bis 18. April stattfindet.
Das Plenum kann dem Gesetz qua Mehrheit zustimmen oder es komplett ablehnen – oder nochmals Änderungen einbringen. Etwa solche, die sich auf die umstrittenen Artikel 11 und 13 beziehen. In diesem Fall läge es wiederum in den Händen des EU-Rats, wie es weiter geht: Er kann das Gesetz mitsamt den Änderungen des Parlaments in Kraft setzen oder auch ohne die strittigen Artikel – oder aber die Novelle ganz aussetzen bis nach der Europawahl Ende Mai. Weil dann jedoch Parlament und Gremien neu besetzt sein werden, dürfte ein erneuter Anlauf einige Zeit in Anspruch nehmen.
Dieser Artikel "Worum es beim Streit um Uploadfilter und Leistungsschutzrecht geht" ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 27.02.2019 auf irights.info erschienen. Die Autoren sind Valie Djordjevic und Henry Steinhau.