Deutschlands Wirtschaft schwächelt – „nur ein bisschen“, sagen die einen; „die Rezession kommt!“, sagen die anderen. Die typischen Warnsignale seien deutlich zu erkennen, hieß es etwa vor einem Monat in „SPIEGEL Online“. Es gelte nun, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Was ist dran an der Angst vor der Rezession?
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von Oliver Krautscheid
Die typischen Vorboten einer uns schneller, als wir uns vorbereiten könnten, treffenden Rezession wurden von vielerlei Wirtschaftsforschern, Medien und Politikern wie folgt gemalt:
Deutschlands Industrie produzierte im Frühjahr 2019 fast 5 % weniger als zum Höhepunkt im Vorjahr (wohlgemerkt nicht zum Frühjahr des Vorjahres).
Die Verkäufe des (einstigen) Exportweltmeisters in den Rest der Welt stagnieren. Was die Industrie erwischte, erwischt nun auch die Dienstleister. Die Geschäftslage sei laut Ifo so schwach wie zuletzt 2016.
Erstmals hat sich auch die Zahl der Arbeitslosen, um saisonale Schwankungen bereinigt, binnen eines Zeitraums von 3 Monaten nicht zum Besseren verändert.
Scheinbar schlechte Aussichten für Deutschland. Hat sich der „rezessive Trend“, den so mancher erkennen will, gar bereits verselbstständigt?
Angst vor Rezession: Die Deutschen sind gelassen wie seit 25 Jahren nicht mehr
Mitnichten. Angst macht bekanntlich Politik — und Wirtschaft. Die Macht der Effekte erleben wir heutzutage durch die sozialen Medien noch stärker als vor 10, 25 oder 50 Jahren. Doch so schädlich Angst für wirtschaftliche Entwicklungen ist, so gelassen sind die Deutschen. Der Angstindex ist so niedrig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr: Migrationskrise, Klimakrise und schweren Unwettern, Wahldebakeln der Volksparteien und Schwarzmalerei in der wirtschaftlichen Entwicklung stehen die Deutschen – für ihre Verhältnisse – gelassen bis optimistisch gegenüber.
Andererseits identifizierte die R+V Versicherung, die bereits zum 28. Mal den Angstindex erhoben hat, auch Ängste, die laut repräsentativer Umfrage jeden zweiten Deutschen beschäftigen. Kurz gesagt: Migration und Trump. Sorgen vor politischen und sozialen Spannungen als Ergebnis eines von Migrationsbewegungen überforderten Staates und eine Welt, die durch US-Präsident Donald Trump gefährlicher wird, belegen die ersten drei Plätze. Nicht jedoch die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung oder vor (persönlicher) Arbeitslosigkeit.
Rezessionsangst als selbsterfüllende Prophezeiung?
Woher also die Angst vor einer kommenden Rezession? Die Antwort ist vielleicht überraschend einfacher als gedacht. Seit im 2. Quartal 2019 das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts mit minus 0,1 % negativ ausfiel – der Haushaltskonsum und die Staatausgaben stiegen jedoch – machen Negativprognosen und -schlagzeilen die Runde. Die Rezessionsangst könnte eine selbst erfüllende Prophezeiung werden.
So titelte „Handelsblatt Online“ am Montag (9.9.2019) „Aus dem Boom ist eine Rezession geworden“ und „ARD Börse“ gleichentags: „Anleger sehen Deutschland in der Rezession“. Die ARD zitiert den Konjunkturchef des Berliner DIW, Claus Michelsen, mit „[d]ie Industrie steckt in der Krise und zieht langsam aber sicher auch die Dienstleister mit hinein.“ Ursachen seien der schwächelnde Export, welcher seine Ursache wiederum in chinesischer (Schatten-)Bankenregulierung – dem chinesischen Mittelstand wird die Kreditlinie geschnitten, ohne Kredit jedoch kein (deutscher) Neuwagen – und dem USA-China-Handels- bzw. Zollstreit. Besonders das Rückgrat der deutschen Industrie, die Automobilbranche, leidet nicht nur unter sinkenden Absatzzahlen, sondern auch immer strengeren Abgasnormen – nebst Skandalen – und der (verlangten) Änderung der Antriebstechnologie.
Der von Präsident Trump begonnene „Handelskrieg“ mit China – so unsinnig und kostspielig er sein mag – allein stürzt jedoch eine 80-Millionen-Volkwirtschaft nicht so schnell in die Rezession. Auch ein Abgasskandal reicht hierfür nicht aus. Denn die Stimmung in der Eurozone insgesamt hellte sich tatsächlich, nach mehreren Tiefschlägen in Folge, sogar auf. Auch ein ständig (ewig?) hinausgeschobener Brexit mag zwar Sorgen auslösen, so wurden angesichts eines harten Brexit die Lagerbestände für Exporte aufgelöst, was zunächst ein Wachstum auslöste, doch dieser Effekt verbrauchte sich zum dritten Quartal hin – ohne dass die Briten aber bislang ausgetreten wären oder dies angesichts der innenpolitischen Querelen auf der Insel höchstwahrscheinlich wirkt.
Es stellt sich die berechtigte Frage, ob eine Rezession, so sie denn mit voller Wucht kommen sollte, nicht viel eher das Ergebnis einer medialen Heraufbeschwörerei wäre.
Deutschlands Wirtschaft leidet nur kurzfristig
Statt einer langwierigen Rezession, wie sie so mancher am Horizont ausmachen zu können glaubt, ist es viel eher so, dass Deutschlands Wirtschaft an vielen Problemen – eher „Problemchen“ – krankt, welche aber allesamt kurzfristiger Natur sind. Der schlaue Anleger denkt jedoch langfristig, schaut in die Zukunft und muss gegen seine eigene, menschliche Natur arbeiten. Der menschliche Verstand hat ein Problem mit „großen Zahlen“, dieses Problem zu überwinden, und sodann die Zusammenhänge zu erkennen, hilft beim Treffen der richtigen Anlageentscheidung. Sich von Schwarzmalerei zu kurzfristigen gar Kurzschluss-Handlungen treiben zu lassen, führt eher in die (persönliche) Rezession als jede dramatische Überschrift in einer Wirtschaftszeitung.
Haushaltsüberschüsse des Staates: ein Problem für die Zukunft
Einzig problematisch, wenn sich denn auch in der Zukunft nichts ändert, ist das Verhalten des Staates. Dank jahrelanger Sparpolitik, die nun Früchte zu tragen scheint, konnte das Bundesstatistikamt verkünden, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen im ersten Halbjahr 2019 rund 45,3 Milliarden Euro Überschuss erzielten. Klingt gut, ist es aber nicht. Der Staat entzieht mit Überschüssen dem Wirtschaftskreislauf Geld. Eine geringe ( = gesunde) Verschuldung ist jedoch Basis unseres Wohlstandes und das mit Blick auf die Schulden in der Eurozone die Anleger tatsächlich tiefenentspannt sind, sieht man auch daran, dass sogar Italiens zehnjähriger Zins unter 1 % gefallen ist – Insolvenzangst sieht anders aus. Eine gesunde Verschuldensquote, also die Aufnahme von Fremdkapital auf Staats-, Unternehmens- und privater Ebene ermöglicht den Transfer von Geld „durch die Zeit“ in die Zukunft.
Der staatliche Haushaltsüberschuss Deutschlands, als gute Nachricht verkauft, ist also keine gute Nachricht, sondern kann – wenn die staatlichen Akteure nicht gegenlenken – ein Problem werden. Andersherum muss nicht jede Überschrift, die eine Rezession an die Wand malt, nicht jede schlechte Nachricht, auch wirklich eine schlechte Nachricht sein. Deutschlands Wirtschaft erleidet im dritten Quartal vielleicht einen Schluckauf, chronisches Sodbrennen ist jedoch nicht in Sicht.
Über Oliver Krautscheid
Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch