Mietendeckel Berlin: Auch in West-Berlin gab es bis 1988 eine Mietpreisbindung

von , Uhr

Der geplante Mietendeckel in Berlin war das beherrschende Thema in der letzten Woche. Die Aufregung unter Mietern und Vermietern sowie innerhalb der Parteien ist groß. Nicht nur in der Hauptstadt, auch bundesweit. Der Vorstoß des rot-rot-grünen Senats die Mieten fünf Jahre deckeln zu wollen, wird massiv kritisiert. Und nach Berlin wird nun auch schon in Brandenburg darüber diskutiert. 

Was aber viele Kritiker nicht wissen, vielleicht verdrängt oder gar "vergessen" haben: Nicht nur in der DDR bzw. in Ost-Berlin wurden die Mieten staatlich gedeckelt. Über Jahrzehnte hinweg gab es auch in West-Berlin eine staatliche Mietpreisbindung.

Bildquelle: YouTube Sceentshot https://www.youtube.com/watch?v=741Xe13TD9w&list=LL_HDUbyOlbjG14VmhuEUG7Q&index=4&t=0s

Mietendeckel: Verhältnisse wie in der ehemaligen DDR

Die Kritik am Mietendeckel mag zu großen Teilen berechtigt sein. Der Autor dieses Artikels (Jahrgang 1982) hat selbst als Kind in einer Altbauwohnung in Ost-Berlin in Sichtweite des heutigen Mauerparks gewohnt und kann sich heute noch gut an die marode Bausubstanz und das runtergekommene Erscheinungsbild der Straßenzüge erinnern. 

Dennoch wird die Debatte rund um den Mietendeckel aktuell sehr einseitig und keinesfalls fair geführt. Es dreht sich immer nur um die untergegangene DDR, Planwirtschaft, den Sozialismus und das Versagen des selbigen. Das äußerst sich u.a. in Beiträgen wie: 

  • "Warum blieben in der DDR von Häusern nur Ruinen übrig?" (BZ 17.06.2019),
  • "Ich glaube, wir bekommen Verhältnisse wie in der DDR" (rbb24 18.06.2019)
  • "Mietendeckel: Die DDR zeigt, wohin Mietpreisbindung führt" (Berliner Morgenpost 23.06.2019)
  • "Der Mietendeckel ist sozial ungerecht und schädlich" (Berliner Morgenpost 23.06.2019)

Natürlich dürfen in diesem Zusammenhang die obligatorischen Begleitbilder nicht fehlen. Ein Schwarz-Weiß-Foto von einem Trabi vor einer brüchigen und vergammelten Hausfassade. Beliebt sind auch spielende Kinder vor Hinterhofwänden mit Einschusslöchern aus dem 2. Weltkrieg. Die Foto-Botschaften sind eindeutig und die Macht der Bilder lässt grüßen …

Kapitalistisches New York führt sozialistischen Mietendeckel ein

In New York ließen die Sozialisten kürzlich auch grüßen. Haben Sie schon davon gehört, dass in der Kapitalistenhochburg New York unter dem Bürgermeister Bill de Blasio am 14. Juni 2019 ebenfalls ein Mietendeckel eingeführt wurde? Diese Information ist in den deutschen Medien allenfalls eine Randmeldung im letzten Absatz wert. Man muss schon konkret danach suchen, um genauere Details dazu (auf englisch: "new york rent control" oder "rent regulations new york") zu finden. 

Wenn in New York der Strom ausfällt, ist das sofort eine Eilmeldung wert. Auch die Wasserung eines Flugzeuges im Hudson River wird tagelang medial zerlebriert. Aber die Deckelung von Mieten in der Stadt der größten Aktienbörse der Welt, die Wall Street, spielt keine Rolle?

Auch interessant: Mietendeckel Berlin: Gehört New York zur DDR 2.0?

Aber es kommt noch besser. Wer Verwandte in West-Berlin hatte oder gar selbst vor dem Mauerfall in der "Inselstadt" gewohnt hat, wird sich vielleicht noch erinnern:

Wer die Wahrheit nicht verträgt, bitte kurz hinsetzen oder ab hier aufhören zu lesen … 

Ja, auch im kapitalistischen und hochgradig staatlich subventionierten West-Berlin, dem Aushängeschild der damaligen Marktwirtschaft, gab es einen Mietendeckel. Klingt komisch, war aber wirklich so.

Aktuelle Mieten-Diskussion: Hitler ist an allem schuld

Auch in den 1930er Jahren gab es in Berlin schon Wohnraummangel, der 1932/33 sogar in einem Mieterstreik mündete. Die Mieten wurden daraufhin um 40 % gesenkt. Um weitere zukünftig weitere Streiks zu verhindern, wurde unter Adolf Hitler 1936 ein Mietenpreisstopp per Gesetz erlassen.

Nach dem 2. Weltkrieg war Berlin fast vollständig zerstört. Ost wie West. Wer 2019 das Wort Wohnraummangel in den Mund nimmt, hat wohl keine Vorstellung davon, wie es erst Ende der 1940er gewesen sein muss. Noch dringlicher als heute, lautete damals die Devise: Bauen, Bauen, Bauen. Das klappte wegen des jahrelangen Mangels an fast allem, in Ost- und West-Berlin, nur unzureichend. 

Mietendeckel in West-Berlin aufgrund von Wohnraummangel

Der Mietendeckel aus dem 3. Reich galt aber weiterhin für beide deutsche Staaten. Erst ab 1963 griff in der Bundesrepublik das 1960 verabschiedete "Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht". Ab diesem Zeitpunkt gab es auch für Altbauten keine Höchstmieten mehr. 

Fotoquelle: Willy Pragher, Kurfürstendamm ab Kreuzung Joachimsthaler Straße in Berlin-Charlottenburg, Erstellt: 8. Juni 1972, CC BY 3.0

Einzig in West-Berlin blieben bis 1988 die Mieten für Altbauwohnungen noch gedeckelt. Erst das „Gesetz über die dauerhafte soziale Verbesserung der Wohnungssituation in Berlin“ vom 25. Juni 1987 beendete auch in diesem Teil von Westdeutschlands die Mietpreisbindung für West-Berliner Altbauten.

Medien und Mietendeckel: Manipulation durch Weglassen?

Der Mietendeckel in New York und in West-Berlin passt natürlich den Kritikern ganz und gar nicht ins Bild. Würde er doch zeigen, dass selbiger nicht unbedingt etwas mit Sozialismus oder DDR 2.0 zu tun haben muss. Wahrscheinlich würde die ganze Debatte rund um den geplanten Berliner Mietendeckel ganz anders bzw. ein Stück objektiver geführt werden, wenn sich alle Beteiligten bewusst wären, dass ein Mietendeckel nicht nur ein Konstrukt des Sozialismus war/ist, sondern durchaus auch in einer (sozialen) Marktwirtschaft Anwendung finden kann.

Das bewusste oder unbewusste Zurückhalten von wichtigen Informationen passt aber auch bestens zum Vorgehen in der breiten Medienlandschaft:

Alle gegen Alle: "Wie Medien die Gesellschaft aufteilen"

In diesem Fall werden jetzt der Kapitalismus gegen den Sozialismus ausgespielt. Man könnte es auch auf den altbekannten Ost-West-Konflikt herunterbrechen.

Wenn man aber mal versucht das Ganze von "außen" zu betrachten, wird man feststellen, dass sowohl Sozialismus als auch Kapitalismus in Reinform beim Thema Wohnungsbau jämmerlich versagt haben. Zumindest auf lange Sicht. Weder der Sozialismus, noch der Kapitalismus sind langfristig in der Lage günstigen Wohnraum für die gesamte Bevölkerung bereitzustellen.

Robert Schröder
www.Nachrichten-Fabrik.de