Ob es aktuell noch mehr oder weniger als 50 % sind, das sei dahingestellt. Gleichwohl liegt die Frage auf der Hand, warum so viele Briten aus der Europäischen Union (EU) austreten wollten oder noch wollen? Fragt man nach, geht es meistens um Fragen der Zuwanderung, des Handels und um das Gefühl zu vieler Menschen, nicht mehr die Kontrolle über das zu haben, was im eigenen Land vor sich geht. Es ist ein berechtigtes Unbehagen, denn die EU-Staaten haben ja Teile ihrer Souveränität (sofern diese überhaupt gegeben ist) an die Brüsseler Gremien abgegeben.
Das führt dazu, daß nun fast überall in der EU nationalistische Parteien erstarken, was sich bei der demnächst anstehenden EU-Wahl widerspiegeln wird. Die traditionellen Parteien und erhebliche Teile der Medien sehen dies gar nicht gerne. Sie trachten deshalb, diese Entwicklung zu verhindern, indem sie diese neuen politischen Kräfte nach Strich und Faden denunzieren und so gewissermaßen zu „politischen Schmuddelkindern“ erklären.
Für den indisch-amerikanischen Ökonomen Raghuram G. Rajan ist die vorstehend skizzierte Entwicklung nicht zuletzt eine Folge der um sich greifenden Globalisierung: „Mit der Ausweitung der Märkte über die politischen Grenzen hinweg bevorzugen die Marktteilnehmer eine gemeinsame Regierungsstruktur, die lästige Regulierungsunterschiede und Transaktionskosten beseitigt.“ So sei ein dichtes Netz an transnationalen Institutionen (z.B. die EU) und Verträgen (z.B. Freihandelsabkommen) entstanden, das die nationale Souveränität immer unwichtiger, oft sogar hinderlich erscheinen ließ. Während unter dieser Entwicklung die Ballungszentren florieren, sieht Rajan an deren Rändern oder gar außerhalb – wo man von dieser Entwicklung weniger profitiert – eher Frustration wachsen. Der eigentlich klare Globalisierungsbefürworter befindet deshalb: „Die Nationalisten . . . haben Recht, daß wir in der Standardisierung und Harmonisierung der Gesetze und Vorschriften zwischen den einzelnen Ländern zu weit gegangen sind.“
Er empfiehlt nun eine partielle Rückabwicklung der Globalisierung, damit nicht länger ungewählte Technokraten hinter gut verschlossenen Türen die Regeln bestimmen. Er spielt damit gewissermaßen auf eine schon jetzt „globalisierte Regierungsführung“ an, bei der man den entscheidenden Schritt zu weit gegangen sei, so daß nun eine Korrektur überfällig wäre! (tb)
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