Kostenexplosion bei einem wissenschaftlichen Großprojekt

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Wenn der Staat in unserem Land etwas anpackt, scheinen die Kosten unweigerlich aus dem Ruder zu laufen. Ob es um den Bau eines Flughafens, eines Bahnhofs, einer Philharmonie oder die Reparatur eines Segelschiffes geht, stets werden alle Zeitpläne überschritten und die Kosten gehen durch die Decke. So geschehen auch bei einem wissenschaftlichen Großprojekt (Bau einer Beschleunigungsanlage zu Forschungszwecken in Darmstadt).

Es handelt sich um einen unterirdischen Ringbeschleuniger, in welchem physikalische Grundlagenforschung durchgeführt werden soll. In der 1,1 Kilometer langen Beschleunigungsanlage sollen ab 2025 Ionen und Antiprotonen fast Lichtgeschwindigkeit erreichen. In der Anlage können Zustände der Materie im Labor erzeugt werden, die sonst nur bei Sternexplosionen oder im Inneren von Planeten auftreten, sagen die verantwortlichen Wissenschaftler. 

Bei dem Bau der Beschleunigungsanlage handelt es sich um ein internationales Großprojekt, das von der Bundesrepublik Deutschland sowie acht weiteren Partnerländern, darunter Russland und Indien, finanziert wird. Deutschland trägt drei Viertel der Kosten (90 Prozent der Bund, 10 Prozent das Land Hessen), den Rest bringen die Partnerländer auf.

Die Kosten haben sich fast verdoppelt

Ursprünglich waren Kosten von rund 700 Millionen Euro für das Großprojekt vorgesehen. Die Fertigstellung sollte im Jahr 2015/2016 erfolgen, wobei ab 2012 schon erste wissenschaftliche Experimente geplant waren. Der Bau der Beschleunigungsanlage gestaltete sich jedoch von Anfang an schwierig und kam im Laufe des Jahres 2014 nahezu zum Erliegen. Die Zeit- und Kostenpläne waren nicht mehr zu halten, das Vorhaben stand kurz vor dem Scheitern. 

Im Jahr 2015 untersuchte dann eine unabhängige Expertengruppe das Großprojekt. Die Gutachter kamen zu dem Ergebnis, dass der zu erwartende wissenschaftliche Nutzen eine Fortführung des Projekts rechtfertige. Die internationalen Partner beschlossen daraufhin, an der vollständigen Realisierung des Großvorhabens festzuhalten, das Projekt aber in zwei Phasen umzusetzen. Ferner legten sie eine Kostenobergrenze von rund 1,36 Milliarden Euro fest.

Das Risiko weiterer Kostensteigerungen ist groß

Das Großprojekt ist durch eine außerordentlich hohe technische Komplexität und vielfältige finanzielle und operative Risiken gekennzeichnet. Entscheidend für eine erfolgreiche und wirtschaftliche Umsetzung des Vorhabens ist ein Projektcontrolling, das Risiken frühzeitig erkennt und die richtigen Steuerungsentscheidungen ermöglicht. Bei Struktur und personeller Ausstattung der Steuerung für das Projekt sind nach Einschätzung von Insidern deutliche Fortschritte gegenüber der Zeit vor 2015 erzielt worden. Gleichwohl sind noch wesentliche Defizite zu verzeichnen, die die Wahrscheinlichkeit von Verzögerungen und weiteren Kostensteigerungen erhöhen.      

In anderen Ländern werden Konkurrenzanlagen gebaut      

Für den fertiggestellten Ringbeschleuniger sind 14 Experimente geplant. Sollte nur die erste Realisierungsphase gebaut werden, können nur sieben Experimente durchgeführt werden. Zu der Frage, ob dieser eingeschränkte Leistungsumfang aus wissenschaftlicher Sicht den hohen Aufwand des Großprojekts noch rechtfertigen würde, liegt keine aktuelle Aussage vor. Eine solche Aussage müsste auch berücksichtigen, dass andere Anlagen in Konkurrenz zu dem Beschleuniger in Darmstadt treten können, z. B. eine zeitgleich im Bau befindliche Anlage in China.   

Experten sollen das Großprojekt erneut untersuchen      

Im Laufe des Jahres 2019 wird erneut eine unabhängige Expertengruppe die Kosten- und Terminsituation des Großprojekts bewerten. Die Expertengruppe soll u. a. untersuchen, ob die Anlage wie geplant im Jahr 2025 fertig gestellt werden kann, welche Teile innerhalb der bisherigen Kostenobergrenze gebaut werden können und wie teuer der Bau der gesamten Anlage sein wird. Die teilnehmenden Partnerländer wollen auf der Grundlage der Expertenuntersuchung im Sommer 2019 entscheiden, in welchem Umfang die Beschleunigungsanlage realisiert und wie dies finanziert wird.

Der Ausstieg aus dem Vorhaben sollte erwogen werden     

Es bleibt zu hoffen, dass die unabhängige Expertengruppe die Perspektiven des Großprojekts ergebnisoffen untersuchen wird. Der wissenschaftliche Nutzen der Anlage muss unter Berücksichtigung von internationalen Konkurrenzprojekten realistisch beurteilt werden. Geklärt werden muss ferner, ob die internationalen Partner bereit sind, ggf. anfallende Mehrkosten mitzutragen. Falls dies nicht der Fall sein sollte und außerdem Zweifel bestehen, ob der wissenschaftliche Nutzen den Mitteleinsatz rechtfertigt, sollten auch Ausstiegsoptionen geprüft werden. Es ist eigentlich selbstverständlich, dass der Staat überteuerte und vom Nutzen her zweifelhafte Großprojekte stoppen kann, ja stoppen sollte. Zu einem solchen Ausstieg, liebe Leserinnen und Leser, ist es in der Staatspraxis bisher jedoch noch nie gekommen, sagt bekümmert 

Ihr
Gotthilf Steuerzahler
Dieser Text stammt aus dem kostenlosen Newsletter Claus Vogt Marktkommentar