Der Tod des Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) aus Kassel hat im Netz viele hämische Kommentare hervorgebracht. Die Bundesvorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK), stört sich in diesem Zusammenhang daran, dass die Kommentare von anonymen Personen geschrieben und verbreitet wurden. Sie hat an Pfingsten eine Debatte zur Klarnamenpflicht angestoßen: "Ich möchte wissen, wer hinter solchen Kommentaren steckt" …
Häme an sich ist kein strafrechtlicher Tatbestand. Nur wenn Häme im Zusammenhang mit Volksverletzung, Beleidigung, Verleugnung, übler Nachrede o.ä. einhergeht, wäre diese Häme eine Anzeige wert.
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Beispiel: "Das geschieht dir recht!" ist Häme und spielt strafrechtlich keine Rolle. "Das geschieht dir recht du Idiot!" ist Häme im Zusammenspiel mit einer Beleidigung. Der zweite Satz kann also strafrechtlich verfolgt werden.
Klarnamenpflicht vs BGH-Urteil & Grundgesetz
So verachtenswert hämische Kommentare im Internet, besonders bei verstorbenen Personen, auch sind, das Problem liegt ganz woanders. Bereits vor fast genau 10 Jahren am 23.06.2009 hatte der Bundesgerichtshof im Zuge des Urteils VI ZR 196/08 klargestellt:
"Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, um den es im Streitfall geht, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegengewirkt werden."
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Klarnamenpflicht bedeutet (Selbst)Zensur
Wer also namentlich bekannt ist, äußert sich wissentlich oder unwissentlich tendenziell eher anders, weil er unter Umständen befürchten muss, dass die Äußerung seiner Meinung negative Auswirkungen haben könnte. Einer bewussten oder unbewussten Selbstzensur soll damit also vorgebeugt werden. Der BGH erwähnt zudem explizit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Mit der Klarnamenpflicht würde Frau Kramp-Karrenbauer also sowohl gegen das BGH-Urteil als auch gegen das Grundgesetz verstoßen. Mal wieder.
Innerhalb von kaum 14 Tagen leistet sich AKK damit den zweiten "Fauxpas" in Sachen Meinungsfreiheit. Bereits einen Tag nach den Europawahlen und dem desaströsen Abschneiden der ehemaligen Volkspartei CDU, wollte die CDU-Parteichefin die Meinungsfreiheit von YouTubern einschränken.
Auch Schäuble forderte Klarnamenpflicht
Hintergrund war ein YouTube-Video von "Rezo" (bürgerlicher Klarname: Yannick Frickenschmidt), in dem er die CDU mit sachlichen Inhalten "zerstört" bzw. vorführt. Dieses Video wirkt bis heute nach und Frau Kramp-Karrenbauer versucht offenbar verzweifelt mögliche ähnliche Videos dieser Art zu verhindern. Die Vorgehensweise darf aber wohl als erbärmlich und einer CDU-Chefin sowie einer potenziellen Kanzler-Kandidatin als unwürdig bezeichnet werden.
Übrigens hatte auch Wolfgang Schäuble (CDU) am 19. Mai 2019 schon einen ähnlichen Vorstoß in Sachen Klarnamenpflicht gewagt. Er äußerte sich zu diesem Thema wie folgt: "Wer seine Meinung äußert, sollte auch dazu stehen können". Diese Äußerung ging aber wohl im Zuge des Europawahlkampfes unter, sodass hier ein Aufschrei ausgeblieben war.
Studie: Klarnamenpflicht helfen nicht gegen Hasskommentare
Zum Thema Klarnamenpflicht gibt es bereits Studien. In Südkorea hat man das Thema schon 2007 erkannt und eine Klarnamenpflicht eingeführt. Ergebnis: Nach 4 Jahren wurde diese Pflicht wieder aufgehoben, da die Menge an Hasskommentaren bzw. beleidigenden Kommentaren lediglich um 0,9 % gesunken war. Auch mit Klarnamen wird es also immer Menschen geben, die schreiben, wie ihnen "der Schnabel gewachsen" ist.