Litt er unter sinkenden Umfragewerten, zog der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Vergangenheit gerne die eine oder andere politische Trumpfkarte, um wieder größere Teile der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen. Auch jetzt sieht es für ihn eher schlecht aus und diesmal könnte in Istanbul die Umwidmung der Hagia Sophia in eine islamische Moschee die Folge sein.
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Hagia Sophia mit wechselvoller Geschichte
Dieser schon öfter erwogene, bisher aber aus den verschiedensten Gründen nicht vollzogene Schritt veranschaulicht zum einen, daß Erdogans politischer Spielraum eng geworden ist und läßt zum anderen an die Möglichkeit einer vorgezogenen Neuwahl denken.
Die Hagia Sophia weist eine wechselvolle Geschichte auf. Im 6. Jahrhundert als Reichskirche der Byzantiner gebaut, war sie für annähernd Tausend Jahre eine der wichtigsten Kirchen des Christentums. Als die Osmanen im 15. Jahrhundert das damalige Konstantinopel eroberten, machten sie die Hagia Sophia zur Moschee. Erst der Begründer der heutigen türkischen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, erklärte die Hagia Sophia 1935 zum Museum und beendete damit ihre Zeit als Moschee. Als Teil des Unesco-Weltkulturerbes ist sie nun einer der größten Besuchermagneten Istanbuls. Sollte es zu einer Umwidmung der Hagia Sophia vom Museum zur Moschee kommen (die türkische Regierungspartei AKP kündigte für den Juli erste Schritte an), würde dies vor allem im Nachbarland Griechenland für erhebliche Mißstimmung sorgen, wo dem Bau ebenfalls eine religiöse Bedeutung beigemessen wird.
Hagia Sophia-Umwidmung als poltisches Kalkül
Im Ausland aufbrausende Kritik dürfte Erdogans Regierungspartei AKP aber zugleich nur die Möglichkeit eröffnen, sich wieder einmal als der wahre und einzige Beschützer der nationalen Werte der Türkei aufzuspielen. Wirken würde dieses „Argument“ nach verbreiteter Beobachteransicht allerdings vor allem bei den älteren türkischen Wählern, die zu einem Großteil ohnehin der AKP nahestehen sollen. Den Jüngeren, die sich derzeit in Scharen von der AKP entfernen, sei an einer Umwidmung der Hagia Sophia dagegen eher wenig gelegen. Ohnehin ist die AKP mit aktuell etwa 31 Umfrage-Prozent weit von ihren früheren Wahlergebnissen von gut 50 % entfernt. Vielfach wird ihr eine entscheidende Mitschuld am derzeitigen wirtschaftlichen Niedergang des Landes angelastet. Eine Hagia Sophia-Umwidmung zur Moschee dürfte deshalb höchstens ein politisches Strohfeuer entfachen, das Erdogan und „seine“ AKP nur mit möglichst rasch folgenden Neuwahlen nutzen könnten. (tb)
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