Ex-Freunde planen Erdogans Sturz

von , 24.05.2019, 11:47 Uhr

Nach der Verkündung des Wahlsieges eines sozialdemokratisch geprägten Kandidaten (Ekrem Imamoglu) bei der Istanbuler Oberbürgermeisterwahl meldeten sich einige Politiker der alten Garde der Regierungspartei AKP wie aus dem Nichts zu Wort. Ohne Parteichef und Präsident Recep Tayyip Erdogan beim Namen zu nennen, äußerten z.B. der frühere türkische Außenminister Ahmet Davutoglu und der frühere Staatspräsident Abdullah Gül ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik der Regierungspartei, was natürlich gerade von Vertretern der internationalen Presse deutlich wahrgenommen wurde.

Die „New York Times“ verkündete alsbald „Erdogans Partei wird durch den Vorstoß, die Wahlen (für das Oberbürgermeisteramt in Istanbul, die Red.) zu wiederholen, tief gespalten“. Und „Al Arabiya“ schrieb sogar: „Offene Konfrontation zwischen Erdogan und Davutoglu.“ Der türkische Politik-Beobachter und Analyst Erol Mütercimler vermutete sogleich, daß sich Davutoglu, Gül und Ali Babacan (ebenfalls ein früherer Minister und AKP-Mitglied) auf die Gründung einer neuen Partei vorbereiten, um nach dem von ihnen angestrebten Sturz Erdogans sogleich eine politische Alternative anbieten zu können.

Das legt die Frage nahe, ob diese „alte Garde“ der AKP tatsächlich zu einer politischen Alternative für die

Türkei (auch im Sinne einer Re-Demokratisierung) taugt? Unter Präsident Gül (2007 bis 2014) gab es z.B. einige Prozesse gegen angebliche Putschisten. Betroffen waren Offiziere bis hin zu Generälen, Journalisten, Künstler und Persönlichkeiten auch aus anderen gesellschaftlichen Bereichen, die – das ist heute belegt – in Schauprozessen mit Hilfe gefälschter „Beweise“ verurteilt wurden. Es war eine aus heutiger Sicht seltsam anmutende Allianz zwischen Erdogan, den Politikern der „alten Garde“ und führenden Köpfen der (heute von der AKP bekämpften) Gülen-Bewegung, deren Ziel die Zerstörung aller säkularen und demokratischen Kräfte in Militär, Medien und anderen Bereichen des öffentlichen Lebens war.

Als Hauptgegner im Militär galten damals vor allem Angehörige der Aleviten (eine dem Islam zuweilen nahe, vor allem in der Türkei verbreitete Glaubensrichtung), Kräfte, die sich für eine Allianz mit Russland und China einsetzten sowie jene transatlantischen Kräfte, die die türkischen Interessen am besten im Rahmen einer engen Kooperation mit den USA und der NATO gesichert sehen. Während seiner Außenminister-Amtszeit (2009 bis 2014) unterstützte Davutoglu alles, was zum Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad beitragen konnte. Dazu zählte auch der Abschuß eines russischen Flugzeuges in der syrisch-türkischen Grenzregion, den der damalige Minister nach seinen heutigen Worten „persönlich“ befohlen haben will. Die von ihm angeblich erhoffte Solidarität seitens der NATO trat jedoch nicht ein. Statt dessen brachte der Abschuß Russland und die Türkei an den Rand eines Krieges.

Babacan hadert heute vor allem mit der zunehmenden wirtschaftlichen Isolierung seines Landes. Er gilt wirtschaftspolitisch als Neoliberaler, der möglichst viel ausländisches Kapital in die Türkei holen würde. Wie viele andere türkische Politiker auch warten nun die Vertreter der „alten Garde“ mit großem Interesse auf den Ausgang der im Juni zu wiederholenden Oberbürgermeisterwahl. Sie machen dabei kein Hehl aus ihrer Vorliebe für Imamoglu, doch es bleibt fraglich, wie lange er diese Gunst auch würde genießen dürfen. Mit seiner offenkundigen Fähigkeit, kurzfristige Protestwähler an sich zu binden (und damit nicht zuletzt Erdogan zu schaden), könnte er Gül und Konsorten zu einer Rückkehr auf das politische Parkett verhelfen. Doch die Erfahrung mit ihnen legt die Befürchtung nahe, daß sich für die in der Türkei lebenden Menschen wirtschaftlich und rechtsstaatlich nichts verbessern würde. (tb)


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