Ermöglichen Artikel 9a und „verpflichtende Pauschallizenzierung“ Auswege aus dem Uploadfilter-Dilemma?

von , Uhr

In zahlreichen Beiträgen zur weiterhin erregt geführten Debatte um die EU-Urheberrechtsreform verweisen die Befürworter der Reform darauf, dass es beim Streit um die Uploadfilter vor allem um Lizenzierung gehe. Je sorgfältiger und umfassender eine Plattform Inhalte lizenziert, so der Tenor, desto weniger würden Uploadfilter benötigt.

Ausgangspunkt dieser Lizenzierungspflicht ist, dass Betreiber wie beispielsweise Youtube zukünftig für Filme, Videos, Musikstücke, Fotos, Grafiken, Animationen, Texte und alle weiteren Werkarten, die auf ihren Plattformen vorkommen, entsprechende Lizenzen erwerben müssen – also die Erlaubnis, diese Werke zugänglich zu machen, verbunden mit entsprechenden, ausgehandelten Vergütungszahlungen.

Hierfür sollen sie aber nicht mit jedem Urheber einzeln verhandeln müssen. Stattdessen sollen sie sich an Studios, Musiklabels, Sender, Verlage und ähnliche Unternehmen wenden, die als Rechteinhaber gebündelt für Urheber fungieren. Oder sie erhalten diese Nutzungsrechte bei Verwertungsgesellschaften, wie beispielsweise der GEMA für Musikwerke, der VG Bild-Kunst für Fotos oder der VG Wort für Texte.

Welche Lizenzen bieten Verwertungsgesellschaften?

Verwertungsgesellschaften sind staatlich zugelassene und beaufsichtigte Einrichtungen. Sie handeln prinzipiell für all jene Urheber und Rechteinhaber, die mit ihnen einen sogenannten Wahrnehmungsvertrag abgeschlossen haben. Mitunter verfahren die Verwertungsgesellschaften dabei zweigleisig.

Zum einen sammeln sie treuhänderisch die Abgaben ein, die aufgrund der gesetzlichen Vergütungsansprüche für Privatkopien fällig werden. Diese Abgaben sind beispielsweise in den Verkaufspreisen von Speichermedien enthalten, wie Festplatten, USB-Sticks und SD-Cards, aber auch in denen von kopierfähigen Geräten, wie Smartphones, Tablets und PCs, Druckern und Kopiergeräten. Zudem sind auch bei Kopiervorgängen in Copyshops oder für Bibliotheksentleihen Abgaben fällig.

Zum anderen vergeben bestimmte Verwertungsgesellschaften Lizenzen, etwa für die sogenannte „öffentliche Wiedergabe“ von Werken, wenn zum Beispiel Radiosender oder Podcasts, Clubs oder Straßenfeste Musik ausstrahlen oder abspielen. Hierfür gibt beispielsweise die GEMA Tarife heraus, in denen sie die Vergütungshöhe unter anderem an die Publikumsgröße oder etwaige Eintrittspreise knüpft. Auch für öffentliche Filmvorführungen, Lesungen von Texten oder die Zusammenstellung von Zeitungsartikeln in Presseschauen halten Verwertungsgesellschaften Lizenzen und Vergütungstarife bereit.

Es ist wichtig festzuhalten, dass es viele Urheber*innen und Rechteinhaber gibt, die keiner Verwertungsgesellschaft angeschlossen sind und für deren Werke demzufolge keine Lizenzrechte bei Verwertungsgesellschaften erworben werden können. Einen Zwang, Wahrnehmungsverträge bei Verwertungsgesellschaften abzuschließen, gibt es nicht. Auf der anderen Seite aber dürfen die Verwertungsgesellschaften niemanden ablehnen, der sich ihnen anschließen will, das regelt der sogenannte „Abschlusszwang“.

Die unklare Rolle der Intermediäre

Für Internetplattformen wie Youtube oder Facebook, wo Nutzer*innen eigene und fremde Filme, Fotos, Musik und weitere geschützte Werke und Inhalte hochladen können, gibt es bisher keine Tarife bei den Verwertungsgesellschaften. [Die GEMA hatte sich 2016 mit Youtube lediglich auf freiwillige Zahlungen geeinigt.] Das liegt im Wesentlichen daran, dass die Rolle dieser „Intermediäre“ urheberrechtlich gesehen weitgehend unklar war – sie bieten ihrer Ansicht nach nur eine Plattform und keine eigenen Inhalte. Zudem berufen sich die Plattformbetreiber auf das Haftungsprivileg, das ihnen als Technikprovider zusteht – gemäß der immer noch gültigen E-Commerce-Richtlinie von 2000 (PDF).

Große Rechteinhaber, viele Urheber- und Verwerterverbände sowie viele Verwertungsgesellschaften hingegen betrachten die Art und Weise, wie die angesprochenen Plattformen die hochgeladenen Inhalte sortieren und präsentieren, sehr wohl als eine urheberrechtlich relevante Nutzungshandlung. Dies vor allem deshalb, weil ihre Geschäftsmodelle darauf basieren, neben den Inhalten passende Werbung zu platzieren.

Aus all diesen Gründen will die Richtlinie speziell die großen Sharing-Plattformen neu einstufen und sie zum Lizenzieren verpflichten. Und hierfür sollen die Verwertungsgesellschaften zentrale Ansprechpartner sein: An sie sollen die Plattformen die Vergütungen zahlen, welche dann an Rechteinhaber und Urheber ausgeschüttet werden.

Wie sollen Plattformen Werke lizenzieren, für die Verwertungsgesellschaften keine Lizenzrechte haben?

Noch einmal zusammengefasst: Die großen Internetplattformen sollen künftig Lizenzverträge mit Rechteinhabern beziehungsweise Verwertungsgesellschaften schließen müssen. Doch wenn die Plattformen gleichzeitig für jegliche Benutzer und jenen „User Generated Content“ offen bleiben wollen, der durch diese Lizenzen eben nicht erfasst ist, dann stellt sich die Frage, wie sie Werke lizenzieren sollen, für die die Verwertungsgesellschaften keine Lizenzrechte haben.

Eine Antwort sehen manche im Artikel 9a der Richtlinie (PDF). Er würde den Regelungen in Artikel 13 die erforderlichen Spielräume geben, heißt es seit einigen Tagen immer öfter.

So schreibt die Initiative Urheberrecht in einer Stellungnahme, dass der Artikel 9a eine Erleichterung der Lizenzierung vorsehe, weil er das System des „extended collective licensing“ europaweit als Möglichkeit einführe. Demzufolge, so erklärt auch Matthias Hornschuh, Musiker und in GEMA-Gremien tätig, auf seiner Webseite in einem Kommentar zu einem Text von Thomas Elbel, dürften Verwertungsgesellschaften „das von ihnen nicht repräsentierte Repertoire so mit lizenzieren, als ob sie die Rechte daran hielten (das geht übrigens deutlich weiter als im Parallelfall der Rundfunklizenzierung).“

Hinter diesen Ansätzen scheint die Idee zu stehen, dass die Verwertungsgesellschaft auch für jene Urheber und Werke Lizenzrechte an Dritte vergeben darf, die ihnen gar nicht angeschlossen sind. Juristen reden von „Außenstehenden“. Sie sollen mittels der erwähnten Kollektivlizenzen zunächst ungefragt vertreten werden können. Sie könnten sich aber jederzeit nachträglich bei den Verwertungsgesellschaften melden und einen Vertrag mit ihnen schließen.

Artikel 9a greift nicht weit genug

Für den Rechtswissenschaftler Hannes Henke, Mitarbeiter der juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ist indes unklar, wie weit die Regelungen des Artikel 9a tatsächlich greifen. Im Gespräch mit iRights.info sagt er: „In den Formulierungen dieses Artikels steht deutlich, dass der Einsatz von erweiterten kollektiven Lizenzen an einige Voraussetzungen geknüpft ist und dies bringt einige Konsequenzen mit sich. Dort steht etwa, dass diese Kollektivlizenzen auf ‚well defined areas‘ beschränkt sein müssen, also genau festgelegte Anwendungsbereiche. Demgegenüber beschreibt Artikel 13 aber lediglich die Art der Plattformen: ‚online content sharing service provider‘. Er schränkt aber keinerlei Anwendungsbereiche oder Nutzungszwecke ein. Man würde Artikel 9a deutlich überstrapazieren, wollte man ihn mit Artikel 13 verknüpfen.“

Zudem sei zu beachten, dass die „Außenstehenden“ jederzeit das Recht hätten, ihre Werke von diesen Lizenzvereinbarungen auszunehmen. Das besage Artikel 9a in Absatz 3, Buchstabe c, so Hannes Henke: „Sie können jederzeit der Nutzung ihrer Werke widersprechen beziehungsweise den Umfang der Nutzung begrenzen. Der Widerspruch kann also spezifiziert erfolgen, auf einzelne Werke oder Nutzungszwecke bezogen. Das müssen die Plattformen genau beachten. Sobald solch ein Widerspruch vorliegt, muss der Plattformbetreiber sicherstellen, dass die davon betroffenen Werke nicht mehr öffentlich zugänglich gemacht werden.“ Es bliebe den Plattformen allerdings freigestellt, ob sie dies händisch oder durch automatisierte Filter bewerkstelligen.

Artikel 9a ist an Artikel 7 bis 9 angelehnt

Aus Sicht von Henke bezieht sich Artikel 9a weniger auf Artikel 13, sondern ist vielmehr an die Regelungen der Artikel 7 bis 9 der Richtlinie angelehnt. Diese beziehen sich explizit auf die Nutzung vergriffener Werke und des kulturellen Erbes in öffentlichen Kultureinrichtungen.

Der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke schreibt zu den genannten Extended Collective Licenses (ECL): „Solche Systeme sind etwa in Skandinavien bereits üblich, durch ein kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) jedoch gefährdet (Urt. v. 16.11.2016, Rs. C-301/15 – Soulier & Doke).“

Auch Julia Reda, MdEP der Piratenpartei und Schattenberichterstatterin des Europäischen Parlaments für die Urheberrechtsrichtlinie, bezieht sich in einem Twitter-Post auf dieses EuGH-Urteil. „Die (Skandinavier) haben nämlich Angst, dass nach dem Urteil Soulier & Doke ihre (ECL-)Systeme nicht mehr europarechtskonform sind.“

Mehr noch, Redas Ansicht nach sei Artikel 9a nie als Durchsetzungsmittel für Artikel 13 diskutiert worden. Zudem sei er für die EU-Mitgliedsstaaten keine Muss- sondern eine Kann-Bestimmung, und sie halte es für unwahrscheinlich, dass Deutschland diese überhaupt umsetze.

Viele Verwertungsgesellschaften in den EU-Staaten sind zu klein

Hannes Henke gibt weiterhin zu bedenken, dass die Anzahl und die Wirkungsbereiche von Verwertungsgesellschaften in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Während die Abdeckung für bestimmte Werk- und Nutzungsarten und der Organisationsgrad der Urheber in Skandinavien, Deutschland oder Frankreich recht hoch sei, sehe es in anderen Ländern der EU schlechter aus.

Außerdem weist er darauf hin, dass „eine weitere zwingende Voraussetzung für Artikel 9a ist, dass eine Verwertungsgesellschaft, die die kollektive Lizenzierung vornehmen will, repräsentativ sein muss. Nur dann darf sie Lizenzvereinbarungen mit Nutzern – etwa den Plattformen – schließen, die auch die Werke der außenstehenden Rechteinhaber umfassen. Verwertungsgesellschaften, die national nur einen verschwindend kleinen Teil vertreten, dürften sich nicht auf 9a berufen und eben keine Lizenzen für die Nutzung von Werken Außenstehender vergeben.“

Das heißt, wenn es für betroffene Plattformen darum geht, verpflichtende Lizenzierungen zu erwerben, könnte es bezüglich der Verwertungsgesellschaften in jedem EU-Mitgliedsstaat sehr unterschiedlich aussehen. Abgesehen von etwaigen Schwierigkeiten im Tagesgeschäft mit Lizenzen würde eine solche Situation auch dem eigentlichen Ziel der Richtlinie widersprechen, das Urheberrecht in der EU zu harmonisieren, um einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen.

Wäre eine „gesetzlich verpflichtende Pauschallizenz“ EU-rechtlich möglich?

Eine weitere Variante stellte kürzlich die CDU zur Diskussion. Ihr für viele überraschend präsentierter Plan sieht vor, eine „gesetzlich verpflichtend ausgestaltete Pauschallizenz“ als neue, allerdings national geregelte Ausnahmeregelung einzuführen. Im Kern beinhaltet der Vorschlag eine Regelung, dass im Grunde jegliche Uploads auf Plattformen erlaubt seien, aber automatisch lizenziert würden, egal ob die User das wollen oder nicht. Zudem sollen für Uploads, die unter einer bestimmten zeitlichen Grenze liegen (welche jedoch nicht näher spezifiziert wird) keine Lizenzgebühren fällig werden.

Zwar nennt die CDU hier die Verwertungsgesellschaften nicht explizit. Gleichwohl wären diese wohl die einzig denkbare Möglichkeit, um solche verpflichtenden Pauschallizenzen vergeben und die Vergütungen an Urheber und Rechteinhaber verteilen zu können. Zumindest wäre dann sichergestellt, dass sich die Plattformbetreiber nur an einen einzigen Ansprechpartner wenden müssen, nämlich an die dann zuständige Verwertungsgesellschaft.

Wäre ein solche gesetzliche Pauschallizenz eine rechtliche Möglichkeit, den beabsichtigten Ausgleich zwischen Urhebern, Rechteinhabern, Plattformen und Nutzern zu ermöglichen?

Dazu noch einmal Rechtswissenschaftler Hannes Henke: „Die Geltendmachung des Rechtes der öffentlichen Zugänglichmachung auf Online-Plattformen allein in die Hände von Verwertungsgesellschaften zu legen – ich bin skeptisch, ob dies unionsrechtlich zulässig wäre.“

Der EuGH habe in dem bereits angesprochenen Urteil Soulier & Doke deutlich zu verstehen gegeben, dass sich die Rechte des Urhebers auch auf die konkrete Ausübung der Nutzungsrechte erstrecken. Es müsse daher allein den Urhebern vorbehalten bleiben, der Nutzung ihrer Werke entweder ausdrücklich oder implizit zuzustimmen. Somit müssten auch die Verwertungsgesellschaften selbst erst durch die Urheber zum Abschluss einer Pauschallizenz ermächtigt werden. Im Übrigen überginge eine „Verwertungsgesellschaftenpflicht“ ohne jegliche EU-rechtliche Grundlage letztlich die engen Voraussetzungen, die Artikel 9a an eine Pauschallizenzierung stellt, so Henke.

Fazit

Ob also der zuletzt immer häufiger zitierte Richtlinien-Artikel 9a beziehungsweise eine verpflichtende Pauschallizenz einen Ausweg aus dem Uploadfilter-Dilemma ermöglichen, ob diese Optionen rechtlich realisierbar und ob sie politisch durchsetzbar wären, das scheint weder verlässlich noch unproblematisch zu sein.

Die Artikel ist unter der Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0 Germany am 19.03.2019 auf irights.info erschienen. Der Autor ist Henry Steinhau.


Ähnliche Beiträge zu diesem Thema