Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt noch immer ein Mammutprojekt, das er bereits 2011 – noch als Ministerpräsident – der Öffentlichkeit kundtat und das nach wie vor höchst umstritten ist. Es geht um einen Kanalbau auf der europäischen Seite Istanbuls, der zwar die Region zusätzlich teilen, aber gleichzeitig den Schiffsverkehr auf dem Bosporus deutlich entlasten könnte. Technisch, finanziell und gesellschaftlich würde der Bau dieser 400 Meter breiten, 21 Meter tiefen und 45 Kilometer langen Wasserstraße eine große Herausforderung darstellen, doch er wäre machbar. Derzeit fahren jährlich mehr als 40 000 Schiffe durch die Meerenge, was zu teilweise erheblichen Wartezeiten führt. Erdogan geht deshalb davon aus, daß viele Reeder für eine kostenpflichtige Passage durch den neuen Kanal bereit wären (die Fahrt durch den Bosporus kostet nichts), wenn es nur zu einer entsprechenden Zeitersparnis kommt.
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Bedenken und Proteste gegen Mammutprojekt
Seit Wochen kommt es nun immer wieder zu Protesten gegen dieses Projekt. Man bezweifelt zum einen, daß sich mit dem Kanal die prekäre Verkehrslage tatsächlich entspannen dürfte. Und man befürchtet zum anderen, daß die gewaltigen Erdbewegungen beim Bau die Wasserversorgung der Millionenmetropole Istanbul gefährden und neue Erdbebengefahren heraufbeschwören könnten. Erdogans AKP-Regierung wischte nun alle Bedenken mit einer 1600-Seiten-Studie weg – jetzt bleibt den besorgten Bürgern nur noch die Möglichkeit, gegen diese Studie Einspruch anzumelden. Zusätzlich verärgert wurden die Kritiker dieses Projektes durch die zwischenzeitlich von Erdogan bestätigte Tatsache, daß längs der geplanten Kanalstrecke gelegene und deshalb gewinnträchtige Grundstücke in aller Stille an einige arabische Investoren veräußert wurden.
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Istanbuls Bürgermeister bietet Erdogan Parolie
Istanbuls derzeitiger Bürgermeister Ekrem Imamoglu versucht nun, die gegen das Kanalprojekt gerichteten Widerstände zur Schärfung seines eigenen politischen Profils zu nutzen. Er gehört der sozialdemokratischen Partei CHP an und gilt als einer der derzeit wichtigsten Gegenspieler von Erdogan und ihm wird durchaus eine spätere Präsidentschaft zugetraut. In einem ersten Schritt begehrt die CHP nun zu wissen, wer den arabischen Anlegern vorab Einblick in die Kanalplanung gewährte. Erdogan versucht dies mit dem Hinweis zu verhindern, daß Imamoglu gar kein Recht habe, sich hier „einzumischen“ und er strebt einen Baubeginn noch in diesem Jahr an. Wenngleich noch nicht einmal die Finanzierungsfrage abschließend geklärt ist, kündigte Erdogan seinen politischen Gegnern bereits an: „Der Kanal Istanbul wird gebaut, ob Ihr das wollt oder nicht“. (tb)
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