Italien ist in absoluten Fallzahlen gesehen derzeit das Epizentrum der globalen Coronavirus-Pandemie. In dem Land mit 61 Millionen Einwohnern gibt es mehr als 41.500 (Stand: 20.03.2020) offiziell Infizierte. Davon sind bereits 3.405 Personen verstorben. Mehr als im Riesenreich China mit seinen 1,4 Milliarden Bewohnern! Die Sterberate liegt in Italien bei katastrophalen 7,94 %. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Rate bei “nur” 0,26 und ist damit über 30 Mal geringer. Warum ist die Mortalität in Italien derart hoch?
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An der Antwort haben sich in diesen Tagen viele Medien versucht. Derzeit beschränken sich die Antwortversuche jedoch auf Rechenfehler, andere oder fehlende Statistiken, zu viele zu wenige Tests, Dunkelziffern bei den Infektionen, Probleme bei der Berechnung der Sterberate oder Familienstrukturen etc. Warum kommt aber niemand auf einen ganz simplen Zusammenhang?
Viel Luft um Nichts?
Aktuell kreisen alle Gedanken nur um das Virus selbst. Völlig außen vor gelassen wurde bisher hingegen der einer der wichtigsten Faktoren: Die Atemluft selbst.
17.280 Atemzüge tätigt jeder Mensch durchschnittlich pro Tag, die sich auf über 11.500 Liter Atemzugvolumen in 24 Stunden summieren. Man muss kein Pneumologe sein, um zu erahnen, dass die Qualität der tagtäglich eingeatmeten Luft einen erheblichen Einfluss auf die gesamten Atemwege und besonders die Lungenfunktion haben kann. Der Unterschied zwischen direkter frischer und reiner Nordseeluft und der Luft in unmittelbarer Nähe eines Kohlekraftwerks erschließt sich jedem Kind intuitiv sofort.
Januar 2020: Smog-Alarm für Norditalien
Das mediale und gesellschaftliche Gedächtnis ist eher kurz. Oder haben Sie noch in Erinnerung, dass Mitte Januar 2020 in ganz Norditalien Smog-Alarm herrschte? Es gab umfangreiche Fahrverbote in Piemont und eben auch in der Lombardei. Also in der Region, in der aktuell die meisten COVID-9-Tote zu beklagen sind und wo das Gesundheitssystem an den Rand des Kollaps kommt! Aber auch Mailand und Turin waren betroffen. Als Konsequenz auf den Smog folgten Fahrverbote für Dieselautos und auch das Fahrtempo wurde vielerorts gedrosselt.
“Beim Smog ist Italien das China Europas”
Das war nicht nur in diesem Jahr so, sondern ist eigentlich in den Wintermonaten ein Dauerzustand in Norditalien. Das hat auch die EU bemerkt und Italien am 7.Mai 2019 u.a. wegen Luftverschmutzung verklagt. Zitat aus der damaligen Pressemeldung:
"Im ersten Fall geht es um Luftverschmutzung und das Versäumnis, die Bürgerinnen und Bürger vor den Auswirkungen von Stickstoffdioxid (NO2) zu schützen. Die Kommission fordert Italien auf, die vereinbarten Luftqualitätsgrenzwerte einzuhalten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Schadstoffbelastung in zehn Gemeinden mit zusammen rund 7 Mio. Einwohnern zu senken. Die in den EU-Rechtsvorschriften über Luftqualität (Richtlinie 2008/50/EG) festgesetzten Grenzwerte für NO2 müssen seit 2010 eingehalten werden.
Chronische und schwere Krankheiten wie Asthma, Herz-Kreislauf-Probleme und Lungenkrebs sind oftmals unmittelbar auf Luftverschmutzung zurückzuführen."
Funfact: Der Tagesspiegel titelte am 2. Dezember 2015: “Beim Smog ist Italien das China Europas”. Aus heutiger Sicht und nach den Geschehnissen in diesem Jahr ein äußerst treffender Titel …
Ist der dichte Autoverkehr Schuld?
Jüngst wurden Satellitenbilder der ESA veröffentlicht, die zeigen wie stark sich der Lockdown auf die Smogbelastung auswirkt. Die Belastung ist in den letzten zwei Monaten stark gesunken. Der Hotspot Lombardei sticht dennoch noch immer ins Auge. Nirgendwo in Europa ist die Luftqualität so schlecht wie in Norditalien. Selbst in Osteuropa ist die Luft mittlerweile besser. Das wirkt sich auch auf die Sterblichkeit aus. Italien liegt in Bezug auf vorzeitige Todesfälle durch Luftverschmutzung auf Platz 3 (Stand 2015).
Die NZZ schreibt dazu im Artikel “In Italien haben die Massnahmen gegen Sars-CoV-2 die Smogbelastung gesenkt" vom 16.03.2020: "Die Poebene zählt zu den am stärksten mit NO2 belasteten Regionen in Europa. Weil das Gas die Atemwege und mittelbar auch das Herz-Kreislauf-System schädigt, sterben dort jedes Jahr Tausende von Menschen vorzeitig."
Lombardei: Extrem hohe Pkw-Dichte
Claus Zehner, der ESA-Missionschef, schreibt im gleichen Artikel dazu: "Der Verkehrsrückgang ist die wahrscheinlichste Ursache dafür."In Italien haben die Massnahmen gegen Sars-CoV-2 die Smogbelastung gesenkt."
Die Pkw-Dichte in Italien ist mit gut 605 pro 1.000 Einwohnern sogar noch höher als in der Autofahrernation Deutschland. In der Lombardei liegt sie mit 827 pro 1.000 (8,4 Millionen Autos auf 10,04 Millionen Einwohner) sogar noch über 37 % über dem Landesdurchschnitt. Damit steht die Lombardei (als Land gesehen) weltweit fast an der Spitze.
Feinstaub-Debatte mit Boomerang-Effekt?
Auch in Deutschland gab es eine angeregte Feinstaub-Debatte in den letzten Jahren. Ärzte bzw. Lungenfachärzten haben gebetsmühlenartig gewarnt, dass sich der Feinstaub sowie die gesamten Abgase der Autos sich negativ und langfristig auf die Gesundheit auswirken könnte.
Im folgenden ein paar Zitate aus “Wie schädlich die Luftverschmutzung wirklich ist – Fakten zu Feinstaub und Stickoxiden” (SWR, 06.03.2019):
“Aber als gesichert kann gelten: Überall dort, wo sich besonders viel Feinstaub in der Luft konzentriert, ist die Zahl tödlich verlaufender Schlaganfälle, Herzleiden und Atemwegserkrankungen wie Asthma erhöht.”
"Auch ein Zusammenhang zwischen hoher Stickoxid-Belastung und der Entwicklung von Diabetes gilt als gesichert."
"Plausibel ist die Entstehung von Lungenkrebs durch Feinstaub auch deshalb, weil an der Oberfläche der Staubpartikel häufig krebserregende Substanzen haften, die die Wirkung verstärken. Neben Lungenkrebs gibt es deutliche Hinweise darauf, dass auch andere Krebsformen durch Feinstaub entstehen können.”
“Ihre Blutwerte aber zeigten ohne Filterung eine deutliche Erhöhung von Faktoren, die Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Vorschub leisten: Blutzuckerwerte, Blutdruck und die Konzentration von Stresshormonen stiegen ebenso wie die von Signalstoffen, die mit Entzündungen und erhöhter Thromboseneigung einhergehen.”
Am 17. März 2020 wurde eine Studie des italienischen Instituts für Gesundheit (ISS) veröffentlicht. Darin wurden die Daten der ersten 2.000 Toten in Italien ausgewertet. Das durchschnittliche Alter der Verstorbenen liegt bei 79,5 Jahren. Lediglich 0,8 % der Untersuchten hatten vor der Infektion keinerlei Vorerkrankungen. Alle anderen 99,2 % litten an mindestens einer schweren Vorerkrankung. Die Hälfte hatte drei oder mehr Krankheiten, die häufigsten waren: Bluthochdruck, Diabetes, Krebs, und Herz- und Atembeschwerden.
Das sind also ziemlich genau die Erkrankungen, die auch durch Feinstaub- und Umweltbelastung ausgelöst werden können! Zufall?
Luftqualität vs COVID-9-Todesfälle: Korrelation und Kausalität
Natürlich ist die schlechte Luftqualität in Italien bzw. die sehr hohe Autodichte in der Lombardei sowie der jährliche Smog in der Region nicht DER Grund für die extrem vielen Toten, die durch COVID-9 zu beklagen sind. Korrelation und Kausalität sind selbstredend zwei unterschiedliche paar Schuhe!
Der gesunde Menschenverstand sagt einem insgeheim aber dennoch, dass die hohe Luftverschmutzung in der Lombardei sehr wohl etwas damit zu tun haben könnte. Der Corona-Virus trifft dort auf auf eine relativ alte Gesellschaft, in der viele Ältere mehrere Vorerkrankungen haben. Zusätzlich sind die Lungen und Atemwege dieser Risikopatienten durch die durchgängig schlechte Luftqualität und den alljährlichen Smog bereits deutlich vorbelastet und geschwächt. Kommt dann noch eine Lungenentzündung hinzu …