Chinas „Selbsteinschätzung“

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Die westlichen Staaten sind sich in ihrer Ablehnung des autoritären politischen Systems der Volksrepublik China weitgehend einig. Dabei verkennt man nach verbreiteter Beobachterauffassung, daß offenbar ein Großteil dieses Milliardenvolkes bereit ist, die angeblichen Verdienste der Kommunistischen Partei und des gegenwärtigen Führers Xi Jinping hochzuschätzen.

Keine echte Meinungsfreiheit in China

Natürlich ist dies keine gesicherte Erkenntnis, denn es gibt in China keinerlei Meinungsfreiheit, die eine gesicherte Verbreitung eventuell anderslautender Auffassungen erlauben würde. Gleichwohl gibt es zumindest Versuche, die in China tatsächlich herrschende Stimmung herauszufinden. Und danach sieht es für die Partei, die nach kommunistisch-sozialistischer Tradition immer Recht hat, gar nicht einmal so schlecht aus. Ihr wird Chinas präzedenzloser wirtschaftlicher Aufstieg in den letzten vier Jahrzehnten ebenso zugeschrieben wie die mittlerweile errungene hegemoniale Macht in großen Teilen Ost- und Südostasiens und der allgemein wachsende Respekt, den die internationale Staatengemeinschaft inzwischen Peking zollen muß.

In China gibt es keine freien Wahlen

Dabei erstaunt, daß in (natürlich nicht sehr verläßlichen) Umfragen drei Viertel der befragten Chinesen ihr Land als demokratisch geprägt bezeichneten. Fragte man in den USA, würde nur knapp die Hälfte der Befragten so antworten. Und nur 13 % der Chinesen glauben danach, daß ihre Führung ausschließlich den Anliegen einer Minderheit nachzukommen bestrebt sei. In der Schweiz, dies als Beispiel, denkt ein rundes Viertel in dieser Richtung. Es sind Zahlen, die für Erstaunen sorgen und die – das muß auch gesagt sein – nicht überprüft werden können. Denn freie Wahlen, deren Ausgang einen ganz guten Eindruck von der Zufriedenheit eines Volkes mit seiner Führung vermitteln können, gibt es in China nicht. Die Partei gibt stattdessen vor, in einer andauernden „intensiven Interaktion mit dem Staatsvolk“ zu stehen. So behauptet es zumindest die sinomarxistische Doktrin . . .

Xi Jinping gestaltet Wirtschaft nach Belieben um

Aus diesem offenbaren Glauben des chinesischen Volkes in und an seinen Staat resultiert auch eine heftige Kritik an westlichen Staatsmodellen, die nach chinesischer Auffassung allesamt dem Untergang geweiht seien. Die westlichen Systeme, heißt es aus China immer wieder, litten an ihren oft chaotischen Entscheidungsprozessen und viel zu kurzen Planungshorizonten. Das Prinzip der Gewaltenteilung, heißt es darüber hinaus, führe zu einem wenig effizienten Durchgriff der Exekutive und damit zu einem nur ineffizienten Regieren. Hinzu kämen aus dem Recht auf freie Meinungsäußerung resultierende Netzwerke und Vereinigungen, die sich teilweise unversöhnbar gegenüberstehen und die daher kaum mehr auf eine einheitliche Staatsidee zu verpflichten seien. Eine Mehrheit der Chinesen soll nach offiziellen Erhebungen deshalb mit einer grundsätzlichen Unterordnung des Individuums unter die Interessen des Staates einverstanden sein. Dies vorausgesetzt, ist die chinesische Führung unter Xi Jinping gerade dabei, die Wirtschaft des Landes nach ihren Vorstellungen umzugestalten.

Keine Staatshilfen für Evergrande zu erwarten

Die in den letzten Jahren prosperierenden Internet- und Finanzkonzerne passen nicht mehr in dieses Bild, weil sie nach Pekinger Auffassung keine „echten Werte“ schaffen. Zum Ausgleich werden deren Eigner derzeit zu „freiwilligen“ Milliardenspenden an den Staat gedrängt. In der politischen Kritik steht auch der unter einer teilweisen Blasenbildung leidende Immobilienmarkt. Direkte staatliche Hilfen für den strauchelnden Immobilienriesen „Evergrande“ sind daher kaum zu erwarten, für von der Krise eventuell betroffene Wohnungskäufer aber durchaus. Große Hoffnungen hegt man in Peking aber auch für vollkommen neue Planungsmethoden.

Mehrheit der Chinesen steht hinter der Staatsführung

Was weltweit noch niemals hinreichend funktionierte – eine den Markt ersetzende staatliche Planung und Lenkung – könnte nach Pekings Vorstellungen in Zukunft möglich werden: Eine staatliche Planung mit Hilfe modernster Hochleistungsrechner und Instrumenten der Künstlichen Intelligenz (KI), bei denen der Nervenvernetzung des menschlichen Hirns nachempfundene, neuronale Netze täglich neue Verknüpfungen bilden und auf diese Weise gewissermaßen „dazulernen“. Ob die chinesische Staats- und Parteiführung dies alles realisieren kann, ist natürlich ebenso unsicher wie die Frage nach der Funktionalität. Bisher bleibt zumindest die Annahme berechtigt, daß eine Mehrheit des chinesischen Volkes weitaus enger hinter seiner Staatsführung steht, als dies in den meisten westlichen Demokratien derzeit der Fall ist. Die daraus resultierende politische Durchsetzungskraft (auch gegenüber Dritten!) ist nicht zu unterschätzen! (tb)


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