5 Gedanken zum North Stream2-Konflikt

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Der Bau der zwischen Ost- und Westeuropa verlaufenden Gaspipeline „North Stream2“ wurde zu einer handfesten politischen Kontroverse. Nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen Westeuropa und den USA, die keinen Hehl daraus machen, daß sie dieses Projekt am liebsten vorzeitig beendet sähen. Weil uns dieses Thema voraussichtlich noch für einige Zeit beschäftigen wird, seien nachfolgend die zur Zeit fünf wichtigsten Aspekte dieses transatlantischen Konflikts kurz beleuchtet:

North Stream1 arbeitet längst Kapazitätsgrenze

Erstens: Mit dem Sammelbegriff „North Stream“ wird ein inzwischen weitverzweigtes Rohrsystem beschrieben, das dem Gastransport von Russland nach Europa (und hier insbesondere Deutschland) dient. Die seit vielen Jahren betriebene Leitung „North Stream1“ arbeitet längst an ihrer Kapazitätsgrenze. Den zusätzlichen Gasbedarf soll nun u.a. „North Stream2“ decken, die über weite Strecken parallel zur bereits bestehenden Leitung durch die Ostsee verläuft. Noch nicht fertiggestellt ist ein gut 150 Kilometer langes Teilstück, vornehmlich in dänischen und deutschen Gewässern.

Deutschland ist auch Gas aus Russland angewiesen

Deutschland ist auf das Gas, das einmal durch North Stream2“ fließen soll, und das ist der zweite wichtige Punkt, weitgehend angewiesen. Der beschlossene und bereits begonnene Ausstieg aus Atom und Kohle braucht zuverlässig arbeitende Gaskraftwerke, um die Stromversorgung zu jeder Zeit sicherstellen zu können. Schon heute wird der deutsche Energiebedarf zu annähernd einem Viertel durch die Erdgas-Verbrennung gedeckt, wobei jeweils etwa 40 % der benötigten Gasmenge aus Russland und Norwegen stammen.

Russland könnte Gaseinnahmen für Rüstungsausgaben verwenden

Die USA möchten drittens die Fertigstellung der neuen Leitung verhindern, weil sie fürchten, daß insbesondere Deutschland dadurch zu abhängig von Russland würde – sowohl in wirtschaftlicher als auch politischer(!) Hinsicht. Eher unausgesprochen bleibt dabei der Aspekt, daß Russland mit den Gasexporten viel Geld einnehmen und dieses für Rüstungsausgaben verwenden könnte. Deutschland, so lautet der eher hintergründige Vorwurf aus Washington, gebe also nicht nur zu wenig Geld für eigene Rüstungsbelange und die der NATO aus, sondern finanziere mit dem Gasbezug auch noch den früheren Erzfeind Russland.

US-Gaswirtschaft fürchtet schwindenden Einfluss in Westeuropa

Nicht zu unterschätzen sind viertens auch die Interessen der US-amerikanischen Energiewirtschaft, die sich schon darauf eingestellt hatte, Westeuropa zukünftig mit großen Mengen verflüssigten US-Gases zu versorgen. Einer ihrer schillerndsten Lobbyisten ist der texanische Senator Ted Cruz, der im Wahljahr 2015 von branchennahen Unternehmen rund 25 Mio. US-Dollar kassierte.

Hafen von Saßnitz: USA drohen der EU

Fünftens stößt Washington immer schrillere Warnsignale in Richtung der Europäischen Union und insbesondere Deutschlands aus. Man denke nur an die kürzlich gegenüber dem Hafen von Saßnitz (Rügen) ausgesprochene Drohung, für ein Ende des dortigen Hafenbetriebes (der Hafen gehört zu 10 % dem Land Mecklenburg- Vorpommern und liegt im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel!) zu sorgen, wenn von dort aus auch weiterhin die Versorgung der „North Stream2“-Baustellen (in Saßnitz lagern z.B. die Stahlrohre) aufrechterhalten würde. Bezüglich dieser und anderer Drohungen sah sich die EU-Kommission jetzt veranlaßt,

Washington an die Einhaltung der üblichen völkerrechtlichen Vorgaben zu „erinnern“. Ob sich die US-Führung dadurch beeindrucken läßt, scheint zweifelhaft zu sein. Und auch die Hoffnung mancher Kommentatoren, daß sich unter einem eventuell neuen, dann demokratischen US-Präsidenten die Lage wieder beruhigen könnte, dürfte sich als trügerisch erweisen. Dies sieht man auch im deutschen Energiekonzern Uniper so, der ein Scheitern des Pipelineprojektes nicht mehr ausschließen möchte und der in seiner Bilanz hierfür bereits eine entsprechende Vorsorge traf. Man täte in Berlin gut daran, sich auch für diesen Fall zu wappnen. (tb)


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