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Oliver Krautscheid: Bitcoin unter BaFin-Aufsicht
Seit Januar 2020 stehen Blockchain & Co. unter BaFin-Aufsicht. Wussten gerade die Juristen 2018 Kryptowährungen immer noch nicht einzuordnen – das Berliner Kammergericht erklärte gar der Bitcoin sei „keine Rechnungseinheit“ – steht 2020 ganz im Zeichen des Deutschens Lieblingssport: Definieren, Regulieren, Beaufsichtigen. Deutschlands Alleingang hat auch Auswirkungen auf den FinTech-Markt. von Oliver Krautscheid Digitale Vermögenswerte werden seit dem Jahreswechsel 2019/20 durch Deutschland reguliert; die Aufsicht führt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – kurz BaFin. Unternehmen, die Dienstleistungen rund um digitale Vermögenswerte, also ganz besonders auch Bitcoin und andere Kryptowährungen, anbieten, brauchen ab sofort eine behördliche Erlaubnis. Geschäfte mit Krypto: ab sofort BaFin-Erlaubnis notwendig Im November 2019 beschloss der deutsche Bundestag das „Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie“, die meisten Änderungen traten bereits zum 1. Januar 2020 in Kraft. Neben einigen Neuerungen in Sachen Geldwäscheprävention und -bekämpfung gilt nun eben auch: Wer in seinem Geschäft auf Kryptowährungen wie Bitcoin setzt, benötigt eine Erlaubnis der BaFin. Aber der Reihe nach: Als 2009 der Bitcoin das Licht der Welt erblickte, wusste niemand so recht, wo die Reise hingehen wird. Insbesondere die Juristenzunft hat den Bitcoin – wenn überhaupt – nur zur Kenntnis genommen, wirklich (rechtlich) einzuordnen wusste sie es nicht. Ein auf der Blockchain-Technologie gegründetes (Be-)Zahlsystem, welches auf dezentraler Speicherung und Verwaltung in einem Netzwerk basiert und keinen zentralen Emittenten, keine Aufsicht durch Einen bzw. eine staatliche Institution oder zumindest eine staatlich beaufsichtigte private Institution kennt – was sollte der Jurist auch damit anfangen? So kam es dann auch, dass sich mit der Frage, was Bitcoins denn aus regulatorischer Sicht überhaupt seien, das Berliner Kammergericht (Oberlandesgericht) in einem Strafverfahren beschäftigten musste. Zugrunde lag dem ein Strafverfahren gegen den Betreiber einer Internetplattform, auf welcher Bitcoins gehandelt werden konnten. Im März/April 2013 war der Wert der über diese Plattform gehandelten Bitcoin plötzlich um mehr als das Zehnfache auf 2,45 Millionen Euro gestiegen – der Bitcoin ist in seinem Wert systemimmanent frei und unterliegt deshalb naturgemäß auch solch starken Schwankungen – das rief die Strafverfolger auf den Plan. Als der Verdacht der Geldwäsche aufkam, wurde die Internetplattform geschlossen. Kammergericht Berlin 2018: Bitcoins sind „nichts“ Im folgenden Strafverfahren galt es dann zu klären, ob der Plattformbetreiber illegal erlaubnispflichtige Geschäfte im Sinne des § 32 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) getätigt hat; dies würde seine Strafbarkeit nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG begründen – es drohen bis zu 5 Jahre Gefängnis. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Betreiber in erster Instanz zu einer Geldstrafe; das Landgericht Berlin hob das Urteil in der Berufungsinstanz wieder auf. Abschließend rechtskräftig geklärt wurde die Sache dann durch das Kammergericht in der Revision. Dreh- und Angelpunkt war die Frage, ob der Handel mit Bitcoins ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft oder eine ebenso erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung bedeutet. Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst geklärt werden, ob man den Bitcoin als Rechnungseinheit im Sinne des § 1 Abs. 11 S. 1 Nr. 7 KWG oder aber als E-Geld gemäß § 1 Abs. 2 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (ZAG) sieht. Rechnungseinheit oder E-Geld? Kammergericht contra BaFin Die BaFin sah den Bitcoin bereits länger als Rechnungseinheit an, obgleich dieser Begriff nicht legaldefiniert ist – Juristen verstehen hierunter eine Definition, die der Gesetzgeber geschaffen hat – anders sah es das Kammergericht. Denn den Richtern fehlte es an der Vergleichbarkeit des Bitcoins mit Devisen und gerade diese Ähnlich- oder Vergleichbarkeit hätte der Gesetzgeber im Sinn gehabt, als er Rechnungseinheiten im Sinne des KWG der Erlaubnispflicht unterstellte. Bitcoins jedoch werden nicht von einer Krypto-Zentralbank emittiert oder sonst einer staatlichen Stelle ausgegeben; auch im Blockchain-Netzwerk gibt es keinen allgemein anerkannten Emittenten. Es fehlt dem Bitcoin zudem an allgemeiner Anerkennung und einer gewissen Vorhersehbarkeit in der Wertentwicklung, weshalb er insgesamt nicht als Rechnungseinheit im aufsichtsrechtlichen Sinne angesehen werden könne, so der 4. Strafsenat des Kammergerichts weiter. Mit den gleichen Argumenten weisen die Richter auch eine Behandlung des Bitcoins als E-Geld ab. Dies gilt ganz besonders auch deshalb, weil der Bitcoin bereits existierte und in Umlauf war, als die zweite E-Geld-Richtlinie 2009/110/EG vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt wurde – und der Gesetzgeber sah bewusst davon ab, den Bitcoin zu qualifizieren. Dass die BaFin den Bitcoin selbst als Rechnungseinheit qualifiziert, bindet die Strafrichter zudem nicht. Die Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Verhalten strafwürdig oder eben straffrei ist, obliegt immer noch dem Gesetzgeber und nicht einer Bundesbehörde – genau aus diesem Grund sah sich das Kammergericht auch nicht an die Ansicht der BaFin gebunden und sprach den Plattformbefreier frei. Dieses Urteil des Kammergerichts (Urt. v. 25.09.2018, Az. 161 Ss 28/18) förderte ein zentrales Problem zu Tage: Es brauchte eine gesetzliche Regelung, was Bitcoin ist und wie mit Bitcoin umzugehen ist. Deutschlands Alleingang: mehr als die EU fordert Zurück in die Zukunft. Der Bitcoin kam wenige Monate nach dem Berliner Urteil dann doch voll im Bewusstsein der Regierungsjuristen, der EU und des nationalen Gesetzgebers an. Nicht nur fördert das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) mit fast einer Million Euro das Projekt „Blockchain und Recht“ an der Philipps Universität Marburg, Deutschland setzte auch gleich mehr als von der eingangs erwähnten Vierten EU-Geldwäscherichtlinie gefordert in nationales Recht um. Das mit 900.000 Euro BMJV-Förderung versehene Projekt ist am Institut für das Recht der Digitalisierung am Fachbereich Rechtswissenschaften der Uni Marburg angesiedelt und sollte am 1. Januar 2020 starten. Die Blockchain-Technologie nutzbar machen, setzt einen rechtssicheren Rahmen voraus und hierzu forscht das vom BMJV geförderte Projekt. Prof. Dr. Sebastian Omlor, Direktor des Instituts, erklärte, so wolle man „einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Technologie zukunftsfähig zu machen.“ Die Bundesregierung – die bereits am 18. September 2019 eine „Blockchain-Strategie“ verabschiedet hat – hat die Geldwäscherichtlinie zum Anlass genommen, um die Verwahrung von Kryptowerten für Dritte als eine neue erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung in das KWG einzuführen. Diese neue Erlaubnispflicht für Finanzdienstleistungen rund um Bitcoin & Co. geht allerdings deutlich über das hinaus, was auf europäischer Ebene vorgegeben worden ist. Es handelt sich also um einen (richtungsweisenden) deutschen Alleingang. Denn die EU verlangte lediglich, die Verwahrer von digitalen Werten in die Reihe der Verpflichteten nach den nationalen Geldwäschebekämpfungsgesetzen aufzunehmen; in Deutschland ist nun gleich die BaFin-Erlaubnis erforderlich. Auswirkungen auf den deutschen FinTech-Markt Deutschland griff mit der mehr als nur Umsetzung einer einheitlichen europäischen Regulierung voraus. Deutsche Rechtssicherheit (oder Regulierungswut) statt Harmonisierung aus Brüssel, die neue Erlaubnispflicht hat Auswirkungen auf den deutschen FinTech-Markt. Denn die BaFin stellt strenge Anforderungen an diejenigen, die ein Geschäft mit erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen führen, wozu nun auch die Verwahrung von Kryptowerten für Dritte gehört. So fordert die BaFin unter anderem eine einschlägige Berufsbildung oder Studium im juristischen oder wirtschaftlichen Bereich als auch praktische Erfahrung in der Führung von Bank(!)geschäften. Fast alle Geschäftsmodelle von Erlaubnispflicht betroffen Bereits hier wird klar, dass viele Geschäftsleiter, die zurzeit Dienstleistungen rund um Kryptowährungen anbieten – besonders Startups und junge Unternehmen – nicht die Anforderungen der BaFin erfüllen und nun erfahrenes und entsprechend teures Führungspersonal einstellen müssen. Ein Drumherum gibt es auch nicht, da die neue Erlaubnispflicht mehr als nur das reine Verwahren von Kryptowährungen erfasst. Viel eher ist nun die Verwaltung und die Sicherung von Kryptowerten oder privaten kryptografischen Schlüsseln, die dazu dienen, Kryptowerte zu halten, zu speichern oder zu übertragen, eine erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung (vgl. §§ 1 Absatz 1a Satz 2 Nr. 6 und Absatz 11 Sätze 4 und 5 KWG). Der Kreis der Erlaubnispflichtigen ist groß. Es zeichnet sich ab, dass quasi jeder, der geschäftlich Dienstleistungen rund um Kryptowerte anbietet, von der Erlaubnispflicht betroffen wird. Diese „Kryptowerte“ erfassen zudem auch nicht nur klassische Kryptowährungen wie den Bitcoin, sondern auch „tokenisierte“ Anlageprodukte (security tokens) und da auch bereits das temporäre Verwahren von Kryptowerten erlaubnispflichtig ist, gilt wohl, dass die Mehrheit der existenten Geschäftsmodelle ab dem 1. Januar 2020 einer BaFin-Erlaubnis bedürfen. Handel ohne BaFin-Lizenz strafbar – Übergangsfrist Wer noch keine BaFin-Lizenz hat, aber bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes nun erlaubnispflichtige Geschäfte betrieb, profitiert von einer Übergangsfrist bis März bzw. November 2020. Bis zum 31. März ist der BaFin schriftlich anzuzeigen, dass eine Erlaubnisbeantragung beabsichtigt ist, bis zum 30. November 2020 ist sodann der vollständige Erlaubnisantrag bei der BaFin einzureichen. Wer jedoch ohne Lizenz handelt, der begeht eine Straftat und riskiert eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Rechtssicherheit als Standortvorteil (?) Der deutsche Alleingang verkompliziert die Zusammenarbeit mit anderen europäischen Aufsichtsbehörden; zudem kann das EU-Passporting nicht genutzt werden, also das eu-europaweite Anbieten von Finanzdienstleistungen, weshalb sich auch ausländische Anbieter bei der BaFin akkreditieren müssen. Andererseits gilt mit Blick auf die globale Erscheinung der Digitalisierung des Kapitalmarktes durch digitale Wertrechte („Token“), dass Deutschlands Vorpreschen viele Vorteile bietet. Deutschland versucht als einer der ersten EU-Staaten, einen rechtssicheren Rahmen für Kryptowerte und so auch ein Anlegerschutzniveau zu schaffen, dass weltweit einzigartig sein dürfte. Deutschland hat die Bedeutung der Blockchain-Technologie erkannt und gehandelt. Der Alleingang ist nachvollziehbar, gerade weil es im globalen Wettbewerb darum geht, Anlegern zügiger Rechtssicherheit bieten zu können. Die Blockchain-Technologie entwickelt sich weltweit sehr dynamisch und eine Rücksichtnahme auf langwierige europäische Abstimmungsprozesse ist ausgeschlossen. Im Ergebnis überwiegen bei Deutschlands Vorpreschen die Chancen die Nachteile.   Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch
Oliver Krautscheid: Berufswahl zukunftssicher gestalten
Deutschland gehört zu den Ländern, die von der Digitalisierung und dem damit verbundenen Strukturwandel besonders betroffen sind, nun warnt die OECD: Deutschlands Schüler träumten von Berufen ohne Zukunft. Gefragt, welche Berufe sie mit 30 ausüben wollen, antworteten viele mit Berufen, die es in 10 oder 15 Jahren vielleicht nicht mehr gibt – eine strukturelle Herausforderung. von Oliver Krautscheid Digitalisierung, digitale Revolution, Klima- und Strukturwandel, die Welt steht vor großen geopolitischen Herausforderungen und Deutschland gehört zu den Industrienationen, die besonders hart getroffen werden könnten(!) – das „könnten“ ist wichtig, denn die Presse unterschlägt es gern (zur Panikmache). Nicht umsonst jedoch haben auch die Wirtschaftsweisen vom „Meistern“ des Strukturwandels gesprochen und die Digitalisierung ist Teil dieses Wandels. Nun warnt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) jedenfalls in ihrer aktuellen Studie [hier im Original, auf englisch], dass Deutschlands Schüler – obgleich sie so politisch und besorgt um die Zukunft des Planeten sind wie noch nie – sich in ihrer Zukunft in nicht zukunftsfähigen Berufen sehen. Fast die Hälfte der Befragten wünsche sich einen Beruf, den es in 10 oder 15 Jahren bereits nicht mehr geben könnte. Die voranschreitende Automatisierung droht viele „klassische“ Berufe wegfallen zu lassen; gleichzeitig schaffen Automatisierung und Digitalisierung aber auch viele neue Berufe. Keine Lust auf IT und Angst vor Studium Problematisch ist jedoch, dass sogar mathebegeisterte Schüler sich nicht nach Berufen in der IT sehen und Schüler mit guten Noten, aber aus sozial schwächeren Familien, sich kein Studium zutrauen. Es scheint, als drohe ein ernster Mangel an Akademikern und IT-Fachkräften – oder die OECD betreibt ebenfalls nur Schwarzmalerei und Panikmache. Zunächst ist festzuhalten, dass die Studie der OECD auf der Pisa-Untersuchung 2018 aufbaut. An dieser nahmen 79 Länder teil, befragt wurden dabei mehr als eine halbe Million Schüler. Für die Auswertung zu den beruflichen Vorstellungen wurden jedoch nur die Daten aus den 41 Ländern genutzt, die sowohl im Jahr 2000 als auch 2018 an Pisa teilgenommen haben – 41 Länder und nicht bloß Deutschland. Dass 15jährige traditionellen Berufsbildern an- oder hinterherhängen, ist also kein rein deutsches Phänomen. „Obwohl sich die Welt seit der ersten Pisa-Erhebung stark verändert hat, zeigen die Ergebnisse, dass das nur sehr gering auf die Berufserwartungen junger Menschen zutrifft“, erklärte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. 47 % der Jungen und 53 % der Mädchen erklärten der im Dezember veröffentlichten Studie nach, dass sie sich in ihrer Zukunft (im Alter von 30) in besonders bekannten Berufen sehen würden. Zu den beliebtesten zählten Lehrer, Manager oder Arzt. An sich Berufe, für die in aller Regel studiert werden muss – dennoch lässt sich der Studie auch entnehmen, dass zum einen IT-spezifische Berufe selten auf dem Plan stehen und überdies Kinder aus sozial schwachen Familien sich in der Regel kein Studium zutrauen, auch wenn die schulischen Leistungen dafür sprechen. Statistikfehler oder Trumpf: Deutschlands Berufsberatung Dass sich in Deutschland nur wenige Schüler auf die (global betrachtet) beliebtesten Berufe konzentrieren, liegt nach Einschätzung der Bildungsforscher auch an einer deutschen Besonderheit: Der Berufsberatung. Es ist hierzulande üblich, dass früh Kontakt zu Schülern gesucht und sie über die Berufswelt, die Vielfältigkeit derselben aufgeklärt und beraten werden. Gerade die Schulen vermitteln früh Einblicke in die Arbeitswelt etwa über Praktika. So entdecken Schüler eben auch weniger bekannte Berufe für sich. Wenn also etwa die WELT (23.1.2020) in der Überschrift behauptet „Deutschlands Schüler träumen von Berufen ohne Zukunft“, stimmt das so nicht! Es stimmt sogar ganz ausdrücklich nicht, wenn der beliebteste Beruf unter Jungen hierzulande mit 6,7 % Informatiker ist. Dies dürfte durchaus ein Beruf mit Zukunft sein. Dass es eben nur 6,7 % sind und nicht 10 % oder mehr, dürfte auch an der Vielfältigkeit der Berufswelt und vor allem dem Wissen der deutschen Schüler um diese Vielfältigkeit liegen. In der Liste der deutschen „Top 10“ tauchen zudem auch „Wissenschaftler“, „Ingenieur“ und „Maschinenbauer“ auf – auch hierbei dürfte es sich um Berufe mit Zukunft handeln, noch und sicherlich auch bald noch, baut keine Maschine eine Maschine ohne das ein Mensch involviert wäre. Ein(ziges) Problem: Soziale Herkunft bestimmt Aussicht OECD-Bildungsdirektor Schleicher sagte: „Es ist weder gerecht noch effizient, wenn benachteiligte Schüler mit einer engstirnigen Sicht auf den Arbeitsmarkt und ihr eigenes Potenzial schauen.“ Problematisch ist und bleibt – das ist und bleibt alarmierend –, dass Schüler aus sozial schwächeren Familien sehr engstirnig auf ihre akademische und berufliche Zukunft schauen. Die soziale Herkunft bestimmt also ganz offensichtlich die eigenen Ambitionen, ohne dass die Schule hier effektiv gegensteuern kann. Es ist also nicht die Leistung, die entscheidet, denn leistungsstarke Schüler aus besseren Verhältnissen nannten im Schnitt viermal häufiger ambitionierte und mit höherer Bildung verbundene Berufe als Ziel als Schüler mit zwar vergleichbaren Leistungen aber aus benachteiligten Verhältnissen. Hier gilt ganz klar, der Staat muss zusammen mit der Wirtschaft gegensteuern. Leistung muss belohnt werden, Leistungsbereitschaft und Talent gefördert, und Schüler aus sozial schwachen oder sonst benachteiligten Familien müssen fit für eine sich gewandelte Arbeitswelt gemacht werden. Einen Strukturwandel hat Deutschland mehr als einmal durchgestanden und mit unserem Können und einem entschiedenen Wollen, schafft es das auch wieder. Was ist dran: Träumen Deutschlands Schüler wirklich von Arbeitslosigkeit? Die OECD-Bildungsexperten warnen zudem, dass „39 Prozent der genannten Berufe in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren davon aus, dass sie durch Automatisierung wegfallen könnten“ (so SPIEGEL Online, 22.1.2020). Bildungsdirektor Schleicher erklärte dazu, „in vielerlei Hinsicht scheinen die Signale des Arbeitsmarktes junge Menschen nicht zu erreichen.“ So seien in Deutschland, aber auch Japan, etwa 45 % der von den Schülern genannten Berufe aus Sicht der OECD-Experten vom „Aussterben“ binnen der nächsten 10 bis 15 Jahre bedroht. Hierbei wird aber vergessen, dass alles im Wandel ist und mit dem definitiven Wegfall bestimmter Jobs auch neue entstehen werden, zum Teil auch sicherlich Berufe über die heute 15jährige genauso wenig nachdenken wie heutige Jobmessen es anbieten. Diesen Wandel als bereits vollzogen und deutsche Schüler als quasi schon verloren zu betrachten, ist Unsinn. Jobkiller Automatisierung tobt bereits seit 200 Jahren Die Debatte um den „Jobkiller“ Automatisierung tobt im Kern seit zweihundert Jahren. Angefangen bei den frühindustriellen Aufständen der Weder im 18. und 19. Jahrhundert, über die „Jobkiller Computer“-Slogans der 70er Jahre des 20. Jahrhundert bis zur viel diskutierten These von Osborne und Frey 2013, wonach jeder zweite Arbeitsplatz an Maschinen fallen wird. Hier wird ein Glaubenskrieg zwischen Optimisten und Skeptikern geführt und häufig vergessen, dass solcher Wandel in der Regel eben nicht von heute auf morgen passiert. Wer jedoch wissen will, ob sein Beruf noch zukunftsfähig ist oder im Zuge der Digitalisierung weg- bzw. an Maschinen fällt, kann das mit einem OECD-Tool hier überprüfen. Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch
Oliver Krautscheid: Der Welt geht es besser als in Davos diskutiert
Zurzeit läuft das Weltwirtschaftsforum in Davos. Geopolitische Themen, besonders Klima- und Strukturwandel, werden hier diskutiert. Auch eine immer größer werdende Ungleichheit der Vermögensverteilung. Der Welt gehe es schlecht, das sagen Oxfam wie auch die schwedische Aktivistin Greta Thunberg – doch stimmt das oder macht die Welt nicht tatsächlich Fortschritte? von Oliver Krautscheid „Recht wunderliche Milieueindrücke“ sammelte er in Davos, so Thomas Mann 1930 in seinem Lebensabriss. Diese „Milieueindrücke“ bewegten ihn sodann zum Zauberberg, der eine Welt beschreibt, die es bei Erscheinen des Romans bereits nicht mehr gab. Der Roman spielt in Davos, dort, wo das Weltwirtschaftsforum tagt und über das diese und jene Seiten mit stets gleicher Beharrlichkeit gleich berichten. Greta Thunberg tritt auf und warnt vor den Folgen des Klimawandels, Oxfam beklagt immer größer werdende Ungerechtigkeit – beides unaufhaltsam und jedes Forum aufs Neue ein ernstes Problem – doch wie viel ist dran an letzterer Behauptung? Machen wir nur Rückschritte? Die gleiche merkwürdige Beharrlichkeit erfasst auch den Protagonisten in Manns Zauberberg, Hans Castorp. Auch er berief ohne Not Geister, die er sodann nicht mehr los wird; aus geplanten drei Wochen in Davos werden dann verflixte sieben Jahre zwischen Siechenden, wirklich und eingebildet Kranken, ihren Ärzten und Pflegern im luxuriösen Luftkurort. Ein ironisches Gegenstück zum Tod in Venedig. Aber zurück in die Realität, zurück nach heute. Krisen in Davos: Trump, Greta, Oxfam US-Präsident Donald Trump, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Klimaaktivistin Greta Thunberg – sie sind wohl mit die prominentesten von etwa 3.000 Teilnehmern der 50. Zusammenkunft des Weltwirtschaftsforums (WEF). Trump propagierte wie üblich „America first“, Greta konstatierte „ob links, rechts oder Mitte – alle haben versagt“ und Oxfam mahnte gar die Ungleichheit ist erneut schlimmer geworden. 1 % der Weltbevölkerung hätten mittlerweile 45 % des globalen Vermögens zusammengerafft, wogegen der ärmste Teil der Weltbevölkerung zusammen nicht einmal auf 1 % des globalen Vermögens käme. Ganz besonders Frauen seien mit 12 Milliarden unbezahlten Arbeitsstunden täglich, die großen Verlierer. „Jetzt haben Milliardäre mehr Reichtum als 4,6 Milliarden Menschen auf dieser Erde. Das ist eine Ungleichheit, auf die wir schauen. Und dabei muss man im Blick haben, dass fast die Hälfte der Weltbevölkerung weniger als 5,50 Dollar pro Tag zum Leben hat.“ So Amitabh Behar von Oxfam International. Zur Klimakrise kommt gesellt sich die Ungleichheitskrise. Der Rest ist Trump, der nach (vorerst) beigelegten Handelsstreitigkeiten mit China nun der EU ein Handelsabkommen abpressen will. Der Gini-Koeffizient: Die Welt macht Fortschritte! Doch es ist nicht alles so schlimm wie es scheint, wie die Presse schreibt, denn tatsächlich macht die Welt Fortschritte. Zwar spottete der Chef der US-Großbank JPMorgan einmal, das WEF sei ein Ort, „wo Milliardäre Millionären erzählen, was die Mittelklasse fühlt.“ Aber Spott ist Spott und Fakten sind Fakten: Am Gini-Koeffizienten gemessen nehmen die Vermögensunterschiede weltweit und seit zwei Jahrzehnten ab! Auch die Vermögensunterschiede zwischen den Staaten nehmen ab. So lässt es sich dem Global Wealth Report 2019 der Credit Suisse entnehmen, dem Report, der auch Grundlage der durch die Presse gepeitschten Oxfam-Berechnungen ist. Der Anteil der unteren 90 % am globalen Vermögen ist von 11,5 % im Jahr 2000 auf 18,3 % im Jahr 2019 gestiegen, gleichzeitig gilt, dass nicht mehr nur 8 Milliardäre weltweit so viel besitzen wie die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung (2016), sondern 162 Milliardäre. Stark simplifiziert ausgedrückt, sind also Milliardäre ärmer und die unteren 90 % reicher geworden; die Ungleichheit nahm faktisch ab. Wie kommt es also, dass Oxfam die „Ungleichheitskrise“ ausruft? Eine von vielen Krisen oder Herausforderungen, Klimawandel, Strukturwandel und nun die große Dramatik um die weltweite Ungleichheit (oder Ungerechtigkeit?). Oxfam berücksichtigt bei seinen Berechnungen einen Faktor nicht: Das Einkommen. Dies ist ein Fehler; überhaupt ist es ein Fehler, eine (neue) Krise auszurufen und so den Eindruck zu erwecken, es würde sich nichts verbessern. Äpfel und Birnen verglichen: Panikmache und unnötige Sorgen Oxfam stellt quasi einen Vergleich von Äpfel und Birnen an, unterschlägt Verbesserungen und ruft eine Krise aus, die nur unnötige Ängste und Sorgen schürt – die Gesellschaft spaltet. Das bloße Abstellen auf Vermögen zur Beurteilung von Armut und Lebenschancen ist unzureichend. Ein überschuldeter College-Student in den USA steht kaum besser da als ein mittelloser Bauer in Äthiopien, wenn nur auf das (nicht vorhandene bzw. negative) Vermögen geblickt wird. Überdies ist auch bereits fraglich, was Oxfam unter Armut versteht. Weniger als 6 US-Dollar/Tag oder doch weniger als 2 US-Dollar/Tag? Die Daten der Weltbank zeigen doch, dass – wenn über extreme Armut gesprochen werden soll – der Anteil der Weltbevölkerung, der von weniger als 1,90 US-Dollar/Tag lebt von 26 % im Jahr 2002 auf zuletzt knappe 10 % gesunken ist. Nicht weniger schwammig ist Oxfams diesjähriger Aufmacher: die großen Unterschiede zwischen Mann und Frau. 12 Milliarden Arbeitsstunden pro Tag und zudem unbezahlt, was stimmt hier nicht? Zunächst darf nicht vergessen werden, dass viele Paare gemeinsam die Entscheidung treffen, wer einem Lohnerwerb und wer Haushalt und Kindern nachgeht. Statt die individuelle Ebene muss eben auch die Haushaltsebene betrachtet werden, die formalen Unterschiede auf dem Papier fallen sodann in der Realität geringer aus. Die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen lag dennoch im Jahr 2017 mit 71,5 % etwas unterhalb der 78,9 % der Männer. Insoweit ist die Forderung Oxfams, das auch Deutschland die Betreuungsinfrastruktur weiter ausbauen muss, berechtigt und (!) wichtig. Im Übrigen verkauft Oxfam aber schlechte Nachrichten, weil diese Nachrichten sich eben besser verkaufen. EWF: Viel reden und nichts tun? Nun wirft ja auch Greta Thunberg dem EWF vor, dass viel gesprochen, aber wenig getan wird und zudem auch gleich alle versagt hätten von links bis nach rechts. Aber auch das ist nur die halbe (wenn überhaupt) Wahrheit. Denn neben zahlreichen Initiativen die in Davos angestoßen wurden, etwa etwa zur Armutsbekämpfung sowie für die Rechte von Frauen oder Homosexuellen, gibt es für 2020 bereits ganz konkrete Pläne. Binnen zehn Jahren, also bis 2030, sollen eine Milliarde Menschen, also mehr als ein Siebtel der Weltbevölkerung, fit für neue Jobs gemacht werden, die mit der Digitalisierung entstehen. Ebenfalls bis 2030 sollen eine Billion – das sind 1.000 Milliarden, eine 1 gefolgt von 12 Nullen – Bäume gepflanzt werden. Dass das manchen nicht reicht und dass allein damit sich der Klimawandel weder stoppen noch revidieren lässt, ist klar. Doch eine „Dekarbonisierung“, wie jüngst Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan forderte („Ich erwarte […] eine klare Unterstützung für eine Dekarbonisierung“), kann weder per Knopfdruck herbeigeführt werden noch würde er den Armen und Ärmeren dieser Welt helfen. Davos und die Presseberichterstattung um das WEF zeigen jedenfalls, schlechte Nachrichten sind Nachrichten, die sich verkaufen; aber wer einen Blick auf die Fakten wirft, der weiß: Die Welt macht Fortschritte. Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch
Digitalisierung: Eine Herausforderung für Aufsichtsräte
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam und immer schneller voran; von der „digitalen Revolution“ ist die Rede, die Wirtschaftsweisen der Bundesregierung gaben gar die Losung „den Strukturwandel meistern“ heraus. Doch diese Revolution, dieser Wandel verändert auch die Tätigkeit von Gesellschaftsorganen, wie etwa des Aufsichtsrats einer AG und nicht jeder, sondern tatsächliche viele Aufsichtsräte sind hierauf nicht vorbereitet, nicht richtig besetzt. von Oliver Krautscheid Der Aufsichtsrat ist ein Kontrollgremium. Als mit der 1. Aktienrechtsnovelle zum 11. Juni 1870 das „Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften“ im norddeutschen Bund in Kraft trat, wurde die Überwachung der Aktiengesellschaft bzw. ihrer Leitung dem Staat entzogen und dem Aufsichtsrat als einem privatrechtlichen Gremium anvertraut. Deutschland und die Gesetze änderten sich zwar seit dem immer wieder – 1965 löste der Bundesgesetzgeber das „reichsdeutsche“ Aktiengesetz von 1937 mit dem neuen Aktiengesetz ab – aber die Stellung und Aufgaben der Organe blieben im Wesentlichen gleich bis heute. Seit 1870 Aufsichtsrat: Die Digitalisierung konnte niemand voraussehen Die Digitalisierung konnte der Gesetzgeber der Vergangenheit nicht ahnen, der Gesetzgeber von heute weiß (noch) nicht so recht, wie mit ihr umzugehen sein soll. „Den Strukturwandel meistern“ ist die Losung, die die Wirtschaftsweisen im Jahresbericht 2019/20 ausgaben. Gleichwohl gibt es bereits auf nationaler und Ebene der Europäischen Union eine Vielzahl an Regelungen, die die Digitalisierung aber auch die Tätigkeit des Aufsichtsrates im Zeitalter der Digitalisierung betreffen und es werden zukünftig sicher noch mehr. Doch nicht nur der Gesetzgeber ist gefragt, auch die Konzerne selbst: Denn auch, wenn immer mehr Vorstände sich mittlerweile „Chief Digital Officer“ zulegen – ihre „Digital-“ oder „IT-Kompetenz“ im Leitungsgremium ausbauen –, wird leider immer noch häufig übersehen, dass die teils radikalen Veränderungen in Geschäftsmodellen und Organisationsstrukturen auch den Aufsichtsrat mit völlig neuen Fragestellungen und Risikolagen konfrontiert. Völlig neue Fragestellungen und Risikolagen für den Aufsichtsrat So verwundert es nicht, dass die „FAZ Online“ erst im Mai 2019 titelte „Viele Aufsichtsräte sind falsch besetzt“. Die „FAZ Online“ macht in ihrem Artikel mehrere Schwachpunkte aus, die der Garantie einer effektiven Governance in Zeiten der digitalen Transformation im Wege stehen. So fehlt es vielen Aufsichtsrat-Mitgliedern bereits an „digitaler Erfahrung“; dies liegt schlicht am Altersdurchschnitt vieler Aufsichtsräte. Wer der Generation der „Boomer“ oder einer noch früheren angehört, tut sich oft schwer, Geschäftschancen und Risiken digitaler Technologien zu beurteilen, Talente der Millennial- oder Touchscreen-Generation zu erkennen und zu entwickeln. Hier besteht dann Nachholbedarf, der weit über die Ausgabe eines dienstlichen Smartphones hinausgehen muss. Die Schwachpunkte: zu alt, gestrige Kontrollgrößen und zu enger Fokus Doch Aufsichtsräte sind häufig nicht nur „zu alt“ in dem Sinne, dass sie „digitalen Nachholbedarf“ haben; es wird auch weiter auf zum Teil überholte Mess- und Steuergrößen zurückgegriffen. Der Erfolg digitaler Transformationsprozesse lässt sich eben schlecht mit jahrzehntelang verwendeten finanztechnischen Größen, die zur Sicherstellung wertorientierter Unternehmensführung herangezogen wurden, abschätzen oder beurteilen. Digitale Geschäftsmodelle gehen auch mit neuen Umsatzmodellen und Preismechanismen einher, die sich eben nicht mit den klassischen (oder radikaler „antiken“) Instrumenten wirkungsvoll steuern lassen. Die Aufsichtsratsbesetzung vor der Digitalisierung folgte einem Muster, das den Fokus auf „buchhalterische“ – oder feiner: „finanzwissenschaftliche“ – und vor allem juristische Kompetenzen legte. Kontrolle und Risikominimierung standen richtigerweise im Vordergrund. Richtigerweise deshalb, weil in einer Unternehmens(un)kultur undurchsichtiger Vergütungsregelungen und Compliance-Verstöße eine strengere Governance erforderlich war – doch dieser exklusive Fokus passt nicht mehr in Zeiten des digitalen Wandels. Bisherige Denkmuster und Verhaltensweisen müssen auf den Prüfstand Die vorbezeichneten Schwachpunkte lassen sich jedoch beheben: Zum einen muss „digitale Versiertheit“ ein Auswahlkriterium bei der (Nach-)Besetzung von Aufsichtsratsplätzen werden; zum anderen müssen die Steuerungselemente den neuen Geschäftsmodellen und die Governance-Kultur selbst angepasst werden, sich verändern. Wo der digital erfahrene Aufsichtsrat(kandidat) eine knappe Ressource ist, muss über Weiterbildung und Training nachgedacht oder dem Aufsichtsrat ein Expertenkomitee, etwa ein „Digital Advisory Board“, zur Seite gestellt werden. In Sachen Steuerung dagegen muss ein jeder Vorstand und Aufsichtsrat der Versuchung widerstehen, allein Effizienzsteigerungen durch erhöhte Automatisierung zu erreichen. Zwar lässt sich hier das Ergebnis am einfachsten messen, doch der Wettbewerbsvorteil geht in dem Moment verloren, wo alle Konkurrenten ebenfalls nachgezogen sind. Die Effizienzsteigerung ist hier endlich und das Möglichste (zu) schnell erreicht. Damit kein Nullsummenspiel droht, wenn unternehmensinterne Prozesse abschließend digital optimiert sind, muss auch der Aufsichtsrat in seiner Beraterfunktion „über den Tellerrand“ blicken können oder, um Steve Jobs zu zitieren, „außerhalb der Box denken“. Digitalisierung: PwC bietet eine Aufsichtsrats-App Außerhalb der Box dachte man wohl auch im Tower 185 bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC, welche eine App mit dem klingenden Namen „PwC Boardroom“ anbietet. So sagte Dr. Henning Hönsch, Partner bei PwC, im September 2018 bereits in einem Kurzinterview: „In vielen Gesprächen und Diskussionsrunden, die wir mit Aufsichtsratsmitgliedern führen, […] besteht tatsächlich bei vielen noch eine gewisse Unsicherheit [in Sachen Digitalisierung]. Einig sind sich die meisten darin, dass bisherige Denkmuster und Verhaltensweisen auf den Prüfstand müssen.“ Auf den Prüfstand gehört deshalb – wie oben zur Steuerung schon angedeutet –  etwa das reine Denken in Produktdeckungsbeiträgen. Viel eher sollte der Kundenwert in den Fokus rücken und zwar über den gesamten Zyklus, da jedoch weiterhin gilt „ich kann nur managen, was ich messen kann“, müssen die Logik und Metrik der digitalen Geschäftswelt angepasst werden. Governance-Kultur: Mehr Transparenz zwischen Vorstand und Aufsichtsrat Doch auch die deutsche Governance-Kultur, mit ihrem strikt dualistischen System aus Vorstand und Aufsichtsrat, sollte sich verändern – ohne jedoch das dualistische System zu Gunsten etwa des integrierten angelsächsischen Systems („Board of Directors“) aufzugeben. Der Aufsichtsrat sollte seine Beratungsfunktion gleichwohl im Rahmen des Möglichen weiter ausbauen und stärker nutzen, wenn es um die Neuerschließung digitaler Geschäftsfelder und die Schaffung digitaler Rahmenbedingungen geht. Der Aufsichtsrat muss hier unternehmerische Urteilsfähigkeit beweisen und auch gestaltend statt ausschließlich kontrollierend tätig werden. Um jedoch dieses „Business Judgement“ im Sinne des deutschen Corporate Governance Kodex leisten zu können, bedarf es mehr Transparenz zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Immer noch wird die Arbeit häufig dadurch verkompliziert, dass Rückfragen zu Entscheidungsvorlagen aufgrund nicht ad hoc verfügbarer Informationen nicht zügig genug beantwortet werden können und Entscheidungsprozesse sich schlussendlich verzögern – in einer immer schneller werdenden Welt ist das ein Problem. Ein „Digital Board Room“ kann hier jedoch Abhilfe schaffen, wenn im Rahmen der ethischen und rechtlichen Standards alle relevanten Geschäftsdaten zentral abrufbar sind für Vorstand und Aufsichtsrat. Digitalisierung bietet dann die Chance, dass alle Beteiligten in Echtzeit Sachverhalte tiefer erörtern und Szenarien detailreicher ausmalen und durchspielen können, schlussendlich also schneller und sicherer Entscheidungen treffen und so das Vertrauen der Investoren und Analysten in die Governance ihres Unternehmens erhöhen. Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch
Oliver Krautscheid – Digitalisierung: Schafft Deutschland den Strukturwandel?
Nachdem die Rezessionsgefahr vorerst gebannt ist, stellt sich eine neue Herausforderung, die auch die Wirtschaftsweisen benennen: Der Strukturwandel. Die Presse schlägt bereits wieder Alarm, der Netzausbau erfolgt zu schleppend, Deutschland hinkt bei der Digitalisierung hinterher. Kann Deutschland Digitalisierung, wird es „den Strukturwandel meistern“? von Oliver Krautscheid Die Frage kann man mit einem vorsichtig-optimistischen „Ja.“ (bewusst Punkt statt Ausrufezeichen) beantworten. Zwar mag es in der Presse anders bis gar pessimistisch klingen, besonders nachdem der ARD-Bericht von der Digitalklausur des Bundeskabinetts in Merseburg am Montag (18.11.2019) wohl wegen eines Funkloches abgebrochen werden musste. Das mag zwar die Twitter-Community erheitern und Journalisten kurzfristig Munition für Häme und Spott liefern, aber es trifft nicht den Kern der Sache und zudem hat Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) ja verkündet, dass die Bundesregierung die Funklöcher mit 1,1 Milliarden Euro zu stopfen plant. Denn Deutschland kann „digital“ und wird den Strukturwandel auch durchstehen – ohne dass die Volkswirtschaft oder große Teile der Arbeitnehmerschaft auf der Strecke bleiben –, wenn (!) wir aus den Vergangenheit Lehren ziehen. Doch vor dem Lehrschluss noch ein paar kurze Erläuterung zu den in aller Munde befindlichen Buzzwörtern „Digitalisierung“ und „Strukturwandel“. Was bedeuten Digitalisierung und Strukturwandel überhaupt? Buzzwort Nummer 1, „Digitalisierung“, meint viel weniger die Umwandlung analoger Werte in digitale Formate – die eigentliche Wortbedeutung –, sondern das, was als „digitale Revolution“ oder „digitale Transformation“ bezeichnet wird. Die grundlegende Veränderung unserer Gesellschaft durch neue Techniken der Informationsgewinnung und -verarbeitung, überhaupt neue Technik, die in immer schnellerer Folge entwickelt wird, so Basis für weitere neue Entwicklungen ist und immer schneller und umfassender Eingang in unser Leben und insbesondere die Wirtschaft findet (Stichwort „Digital Business Transformation“). Buzzwort Nummer 2 der „Strukturwandel“: Der hat es in sich, kann er doch die Veränderung der Gesellschaft als Ganzes – auch global – meinen, wenn er im Sinne einer soziologischen Theorie, die Gesellschaft als Strukturgebilde erhält ihre eigene Existenz, verwandt wird oder nur einen örtlich begrenzten regionalen Wandel meinen. Für diesen Text wird davon ausgegangen, dass die Meisten, die dieses Buzzwort nutzen, den wirtschaftlichen Strukturwandel meinen (oder schlimmer, gar nicht wirklich wissen, was Strukturwandel eigentlich meint). Die digitale Transformation geht Hand in Hand mit dem Strukturwandel – er ist mit Auslöser des Letzteren. Vom Fließband, an dem noch Facharbeiter werken, hin zur vollautomatisierten (Giga-)Fabrik, wie sie etwa Elon Musk ins brandenburgische Brachland bei Berlin bauen will. Die Werkschaffung mit den Händen weicht dem Tippen endloslanger Zeilen Softwarecode fern deutscher Anwender im Silicon Valley oder Indien, dem Überwachen hochkomplexer, computergesteuerter Maschinen durch eine Minimalbelegschaft oder dem völlig neuen Beruf des „Social Media Managers“ – so wird die Bedrohungskulisse häufig gezeichnet. Das Unbehagen vieler (älterer) Arbeitnehmer ist nachvollziehbar. Die Wandlung bestehender Strukturen ist immer auch ein sozialer Transformationsprozess. Verändert sich die Industriestruktur einer Region, dann verändert das auch die Menschen mit teils dramatischen Auswirkungen, die individuell und institutionell verarbeitet werden müssen. Strukturwandel meistern – Lehren aus der Vergangenheit Solche Veränderungen können, wenn Akteure und Betroffene schlecht oder völlig unvorbereitet getroffen werden, später sehr deutlich an der Arbeitsmarktstatistik abgelesen werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Strukturwandel in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung. Plötzlich kam die Treuhand. Alles wurde abgewickelt, umgewandelt oder fusioniert – dass hinter jeder Abwicklung und Umwandlung aber auch hunderte und tausende persönliche Schicksale standen, wurde nicht ausreichend bedacht. Die Wirtschaftsweisen sehen – wie der Autor ebenfalls – keine Rezession voraus, jedoch die klare Herausforderung, die Folgen der digitalen Transformation für die, die sich nicht im Tempo der Bites und Bytes wandeln oder gar neu erfinden können abzufedern und gleichzeitig Deutschland darüber nicht unattraktiv für die Wirtschaft der Zukunft zu machen. Sie haben ihren Jahresbericht 2019/20 deshalb auch „Den Strukturwandel meistern“ betitelt. Doch nicht nur „der Osten“ hat einen Strukturwandel erlebt, auch „der Westen“ Deutschlands hat ihn erlebt, wenngleich nicht so dramatisch und scharf wie die neuen Bundesländer, wo es 1993 in Bischofferode sogar zu einem Hungerstreik von Kalibaubergmännern kam, der Bundeskanzleramt und Treuhand zum Einlenken zwang. Der Strukturwandel im Westen war Folge der einsetzenden Globalisierung, vieler internationaler Fusionen und der Verlagerung der Werkarbeit in Billiglohnländer – oder haben Sie heute (noch) einen Fernseher von SABA? Der heimisch produzierte Fernsehapparat war ab den 1970ern einfach nicht mehr konkurrenzfähig und wie SABA erging es vielen Unternehmen – es kam zum Strukturwandel. Ein weiteres Beispiel ist das Druckgewerbe. Gab es 1970 in Deutschland noch eine Viertelmillion Beschäftigte in diesem Bereich, sind es 2018 nur noch 140.000 gewesen. Drucker und Druckerinnen von heute sind nicht mehr (nur) Spezialisten für Blei- oder Fotosatz, sondern medienübergreifende, analoge wie digitale Dienstleister; der 3D-Druck ein neues Feld. Auch hier zeigt sich: Der Strukturwandel kann überstanden werden, wenn rechtzeitig und richtig auf Änderungen reagiert wird. Der wirklich Erfolgreiche agiert und reagiert nicht. Innovationskraft: Wo entwickelt wird, muss auch produziert werden Dieses richtige (Re-)Agieren passiert bereits vielerorts. Wichtig ist zunächst, dass das Produktionswissen auch in den Entwicklungsprozess einfließen kann oder anders ausgedrückt, Entwicklung und Produktion sollten nicht komplett räumlich getrennt werden. Wer glaubt, in Deutschland entwickeln und bei niedrigsten Lohnkosten allein etwa in Südostasien oder anderswo produzieren zu können, verliert – das zeigen diverse Studien – an Innovationskraft. Der Rest ist Aus- und Weiterbildung und hier muss nicht mehr beim kleinen Einmaleins begonnen werden. Heutige Facharbeiter in der Autosindustrie sind in der Regel bereits mit SPS- und cnc-Programmierung betraut; kennen die digitalen Systeme an ihrem Arbeitsplatz, da Montage und Instandhaltung längt zu (teilweise) digital gesteuerten Prozessen geworden sind. Mit diesen Facharbeitern kann die Industrie in die Zukunft gehen – der Strukturwandel wird sicher ein weiteres an Weiterbildung, aber keine komplett neue Ausbildung von diesen Beschäftigten fordern. Die Unternehmer müssen der Versuchung des Heruntersetzens von Löhnen, Tarifgebundenheit und der billigen Angebote des Auslands widerstehen, um langfristig die Innovationskraft des Industriestandortes Deutschland zu erhalten und so mit „made in Germany“ konkurrenzfähig zu bleiben – und die Politik muss das unterstützen und fördern. Politik muss selbstbewusst fördern und kommunizieren Die Politik muss ihre Wirtschaftsstrategie so (um)gestalten, dass sie die Wirtschaft mit Selbstbewusstsein fördert, agiert und nicht nur bloß reagiert (das Internet ist eben nicht mehr für alle Neuland, erst recht nicht im globalen Wettbewerb). Fast noch wichtiger ist andauernde Kommunikation von Politik und Wirtschaft. Wenn der ostdeutsche Strukturwandel in den 1990ern eines gezeigt hat, dann das Kommunikation immens wichtig ist, um Betroffene nicht zu verunsichern. Der eingangs erwähnte Hungerstreik der thüringischen Kalikumpel ist untrennbar mit kommunikativen Versagen seitens Politik und der damaligen Treuhand verbunden gewesen. Die Beteiligten redeten erst anderthalb Jahre nach endgültiger Schließung des Kaliwerks wieder miteinander. Politik und Wirtschaft müssen das, was sie wollen, deutlich als Ziel benennen und das wird nur eines sein können: einen innovativen Industrie- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger, ernst genommener (!) Selbstverpflichtung kann Deutschland „digital“, kann Deutschland „innovativ“ und vor allem „den Strukturwandel meistern“. Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch
Oliver Krautscheid: Die Rezession kommt – nicht
Deutschlands Wirtschaft schwächelt – „nur ein bisschen“, sagen die einen; „die Rezession kommt!“, sagen die anderen. Die typischen Warnsignale seien deutlich zu erkennen, hieß es etwa vor einem Monat in „SPIEGEL Online“. Es gelte nun, sich auf den Ernstfall vorzubereiten. Was ist dran an der Angst vor der Rezession? von Oliver Krautscheid Die typischen Vorboten einer uns schneller, als wir uns vorbereiten könnten, treffenden Rezession wurden von vielerlei Wirtschaftsforschern, Medien und Politikern wie folgt gemalt: Deutschlands Industrie produzierte im Frühjahr 2019 fast 5 % weniger als zum Höhepunkt im Vorjahr (wohlgemerkt nicht zum Frühjahr des Vorjahres). Die Verkäufe des (einstigen) Exportweltmeisters in den Rest der Welt stagnieren. Was die Industrie erwischte, erwischt nun auch die Dienstleister. Die Geschäftslage sei laut Ifo so schwach wie zuletzt 2016. Erstmals hat sich auch die Zahl der Arbeitslosen, um saisonale Schwankungen bereinigt, binnen eines Zeitraums von 3 Monaten nicht zum Besseren verändert. Scheinbar schlechte Aussichten für Deutschland. Hat sich der „rezessive Trend“, den so mancher erkennen will, gar bereits verselbstständigt? Angst vor Rezession: Die Deutschen sind gelassen wie seit 25 Jahren nicht mehr Mitnichten. Angst macht bekanntlich Politik — und Wirtschaft. Die Macht der Effekte erleben wir heutzutage durch die sozialen Medien noch stärker als vor 10, 25 oder 50 Jahren. Doch so schädlich Angst für wirtschaftliche Entwicklungen ist, so gelassen sind die Deutschen. Der Angstindex ist so niedrig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr: Migrationskrise, Klimakrise und schweren Unwettern, Wahldebakeln der Volksparteien und Schwarzmalerei in der wirtschaftlichen Entwicklung stehen die Deutschen – für ihre Verhältnisse – gelassen bis optimistisch gegenüber. Andererseits identifizierte die R+V Versicherung, die bereits zum 28. Mal den Angstindex erhoben hat, auch Ängste, die laut repräsentativer Umfrage jeden zweiten Deutschen beschäftigen. Kurz gesagt: Migration und Trump. Sorgen vor politischen und sozialen Spannungen als Ergebnis eines von Migrationsbewegungen überforderten Staates und eine Welt, die durch US-Präsident Donald Trump gefährlicher wird, belegen die ersten drei Plätze. Nicht jedoch die Angst vor einem wirtschaftlichen Abschwung oder vor (persönlicher) Arbeitslosigkeit. Rezessionsangst als selbsterfüllende Prophezeiung? Woher also die Angst vor einer kommenden Rezession? Die Antwort ist vielleicht überraschend einfacher als gedacht. Seit im 2. Quartal 2019 das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts mit minus 0,1 % negativ ausfiel – der Haushaltskonsum und die Staatausgaben stiegen jedoch – machen Negativprognosen und -schlagzeilen die Runde. Die Rezessionsangst könnte eine selbst erfüllende Prophezeiung werden. So titelte „Handelsblatt Online“ am Montag (9.9.2019) „Aus dem Boom ist eine Rezession geworden“ und „ARD Börse“ gleichentags: „Anleger sehen Deutschland in der Rezession“. Die ARD zitiert den Konjunkturchef des Berliner DIW, Claus Michelsen, mit „[d]ie Industrie steckt in der Krise und zieht langsam aber sicher auch die Dienstleister mit hinein.“ Ursachen seien der schwächelnde Export, welcher seine Ursache wiederum in chinesischer (Schatten-)Bankenregulierung – dem chinesischen Mittelstand wird die Kreditlinie geschnitten, ohne Kredit jedoch kein (deutscher) Neuwagen – und dem USA-China-Handels- bzw. Zollstreit. Besonders das Rückgrat der deutschen Industrie, die Automobilbranche, leidet nicht nur unter sinkenden Absatzzahlen, sondern auch immer strengeren Abgasnormen – nebst Skandalen – und der (verlangten) Änderung der Antriebstechnologie. Der von Präsident Trump begonnene „Handelskrieg“ mit China – so unsinnig und kostspielig er sein mag – allein stürzt jedoch eine 80-Millionen-Volkwirtschaft nicht so schnell in die Rezession. Auch ein Abgasskandal reicht hierfür nicht aus. Denn die Stimmung in der Eurozone insgesamt hellte sich tatsächlich, nach mehreren Tiefschlägen in Folge, sogar auf. Auch ein ständig (ewig?) hinausgeschobener Brexit mag zwar Sorgen auslösen, so wurden angesichts eines harten Brexit die Lagerbestände für Exporte aufgelöst, was zunächst ein Wachstum auslöste, doch dieser Effekt verbrauchte sich zum dritten Quartal hin – ohne dass die Briten aber bislang ausgetreten wären oder dies angesichts der innenpolitischen Querelen auf der Insel höchstwahrscheinlich wirkt. Es stellt sich die berechtigte Frage, ob eine Rezession, so sie denn mit voller Wucht kommen sollte, nicht viel eher das Ergebnis einer medialen Heraufbeschwörerei wäre. Deutschlands Wirtschaft leidet nur kurzfristig Statt einer langwierigen Rezession, wie sie so mancher am Horizont ausmachen zu können glaubt, ist es viel eher so, dass Deutschlands Wirtschaft an vielen Problemen – eher „Problemchen“ – krankt, welche aber allesamt kurzfristiger Natur sind. Der schlaue Anleger denkt jedoch langfristig, schaut in die Zukunft und muss gegen seine eigene, menschliche Natur arbeiten. Der menschliche Verstand hat ein Problem mit „großen Zahlen“, dieses Problem zu überwinden, und sodann die Zusammenhänge zu erkennen, hilft beim Treffen der richtigen Anlageentscheidung. Sich von Schwarzmalerei zu kurzfristigen gar Kurzschluss-Handlungen treiben zu lassen, führt eher in die (persönliche) Rezession als jede dramatische Überschrift in einer Wirtschaftszeitung. Haushaltsüberschüsse des Staates: ein Problem für die Zukunft Einzig problematisch, wenn sich denn auch in der Zukunft nichts ändert, ist das Verhalten des Staates. Dank jahrelanger Sparpolitik, die nun Früchte zu tragen scheint, konnte das Bundesstatistikamt verkünden, dass Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen im ersten Halbjahr 2019 rund 45,3 Milliarden Euro Überschuss erzielten. Klingt gut, ist es aber nicht. Der Staat entzieht mit Überschüssen dem Wirtschaftskreislauf Geld. Eine geringe ( = gesunde) Verschuldung ist jedoch Basis unseres Wohlstandes und das mit Blick auf die Schulden in der Eurozone die Anleger tatsächlich tiefenentspannt sind, sieht man auch daran, dass sogar Italiens zehnjähriger Zins unter 1 % gefallen ist – Insolvenzangst sieht anders aus. Eine gesunde Verschuldensquote, also die Aufnahme von Fremdkapital auf Staats-, Unternehmens- und privater Ebene ermöglicht den Transfer von Geld „durch die Zeit“ in die Zukunft. Der staatliche Haushaltsüberschuss Deutschlands, als gute Nachricht verkauft, ist also keine gute Nachricht, sondern kann – wenn die staatlichen Akteure nicht gegenlenken – ein Problem werden. Andersherum muss nicht jede Überschrift, die eine Rezession an die Wand malt, nicht jede schlechte Nachricht, auch wirklich eine schlechte Nachricht sein. Deutschlands Wirtschaft erleidet im dritten Quartal vielleicht einen Schluckauf, chronisches Sodbrennen ist jedoch nicht in Sicht. Über Oliver Krautscheid Oliver Krautscheid betreibt das Wirtschaftsportal: https://www.oliver-krautscheid.com/oliver-krautscheid und das neue deutsche Internetportal für Drohnenenthusiasten: https://www.dronestagram.de. Der Autor ist erreichbar unter oliver@krautscheid.ch