Christy Tan: Konsum beflügelt Chinas Wirtschaftswachstum

von , 18.05.2023, 17:04 Uhr

Christy Tan, Investment Strategist, Franklin Templeton Institute

Die Hoffnungen, dass China in diesem Jahr ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5 % erreichen oder sogar übertreffen wird, könnten sich bewahrheiten. Haupttreiber wird hierbei der Konsum sein, beflügelt durch die Ersparnisse der privaten Haushalte sowie die wirtschaftsfreundliche Politik.

Für eine schnellere und nachhaltigere Erholung sind jedoch weitere, bislang noch nicht umgesetzte politische Maßnahmen erforderlich. Die chinesische Wirtschaft leidet aber nicht unter einer Wachstumsverlangsamung oder gar einer Rezession, wie wir es in den Industrieländern beobahten. Aus makroökonomischer Sicht ist China für den Rest des Jahres 2023 ein attraktives Anlageziel für Aktien wie auch für Anleihen.

China weist mit 45,5 % des BIP eine der höchsten Bruttosparquoten weltweit auf, und die Ersparnisse der privaten Haushalte sind 2022 auf über 2,5 Bio. USD angestiegen.1 Diese erklären sich durch eine beispiellose Null-COVID-Politik, die Millionen Menschen dazu zwang, teils monatelang zu Hause zu bleiben. Die Menschen in China haben ihr Geld weder für Haus- und Wohnungskäufe noch für Investitionen an den lokalen Börsen ausgegeben. Unseres Erachtens dürften diese Ersparnisse nun nach und nach weniger werden, sobald die Einschätzung der Einkommens- und Beschäftigungsaussichten wieder zuversichtlicher ausfällt. Kurzum stellt der Binnenkonsum in China den größten potenziellen Treiber für das allgemeine Wachstum in den nächsten sechs bis 12 Monaten dar.

Chinas neue Regierung könnte den Fokus auf ein konsumorientiertes Wachstumsmodell legen

Es bestehen erste Anzeichen dafür, dass die neue Regierung wieder auf ein konsumorientiertes Wachstumsmodell umschwenken könnte. Dies würde eine Steigerung des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte sowie eine weitere Stärkung des sozialen Sicherungsnetzes erfordern. China kündigte jüngst an, die Steuer- und Abgabenlast für Unternehmen um 261,6 Mrd. USD in diesem Jahr zu senken und bestehende Steuer- und Abgabenvergünstigungen zu verlängern. Letzteres dürfte weitere Kosteneinsparungen auf Unternehmensseite in Höhe von 173 Mrd. USD zur Folge haben.2

Christy Tan, Investment Strategist, Franklin Templeton Institute: Konsum beflügelt Chinas Wirtschaftswachstum
Christy Tan, Investment Strategist, Franklin Templeton Institute: Konsum beflügelt Chinas Wirtschaftswachstum

Damit hat die Regierung in Peking die Steuererleichterungen in Höhe von 1 % des BIP bis 2024 verlängert, wobei beinahe die Hälfte der Senkungen (rund 0,4 % des BIP) auf den Konsumbereich entfallen. Überdies besteht erheblicher politischer Spielraum für eine weitere Verlängerung.3

Außerdem stellt das neue, 2022 eingeführte System für die private Altersvorsorge eine wesentliche Initiative dar, die den an den chinesischen Onshore-Märkten tätigen Vermögensverwaltern attraktive langfristige Wachstumschancen bieten wird. Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass der Aktienmarkt in Hongkong über Stock Connect von potenziellen Mittelflüssen im Handel profitieren wird. Die Wachstumschancen sind nicht von der Hand zu weisen, und der Markt für private Altersvorsorge dürfte von derzeit 300 Mrd. USD bis 2025 auf 1,7 Bio. USD anwachsen.4 Im Zuge des Marktwachstums werden private Altersvorsorgeinstrumente in China zunehmend über Shanghai-Shenzhen-Hong Kong Stock Connect in Aktien aus Hongkong investieren.

Finanzielle Lage der Privathaushalte bessert sich, Immobilienentwickler sehen sich aber weiterhin Risiken gegenüber

Anleger sind sich der Faktoren, welche die Auswirkungen des Häuserangebots und der Häuserpreise auf die privaten Haushalte und die Makropolitik Chinas haben können, sehr bewusst. Hier sind wir allerdings weniger besorgt, da der prozentuale Anteil der Wohnkomponente am Nettovermögen der chinesischen Haushalte von 60 % im Jahr 2000 auf 49 % im Jahr 2019 gesunken ist.5 Unsere Berechnungen zeigen, dass das Nettovermögen der privaten Haushalte intakt bleiben dürfte, auch wenn die Häuserpreise um bis zu 20 % gegenüber den 2019 verzeichneten Niveaus nachgeben.6

Darüber hinaus deuten die jüngsten Indikatoren darauf hin, dass die rückläufigen Zinsen in China eine Welle an Rückzahlungen bei Hypothekendarlehen anstelle von Neukäufen nach sich gezogen haben. Hauseigentümer nahmen günstigere Konsumkredite auf, um die zu höheren Zinsen aufgenommenen Hypothekendarlehen zu reduzieren. Trotz der gesunkenen Hypothekenzinsen haben die ausstehenden Hypotheken 2022 ein Plateau bei rund 5,7 Bio. USD erreicht.7

Vielleicht lockert China die regulatorischen Anforderungen für Immobilien im Rahmen der „Drei roten Linien“, allerdings wäre dies nicht ratsam. Diese Vorschriften sind das notwendige Übel, um das Verschuldungsrisiko bei Immobilienunternehmen zu senken. Zudem fördern sie – zusammen mit anderen Unterstützungsmaßnahmen – den Übergang zu einem nachhaltigeren Modell in der Branche.

Wenngleich der Immobiliensektor auch weiterhin eine der wichtigsten Säulen des chinesischen Wachstumsmodells darstellen wird und derzeit einen Boden ausbildet, haben einige der jüngsten Ausfälle bei chinesischen USD-Hochzinsanleihen (die vor allem von Immobilienfirmen begeben werden) für erhöhte Vorsicht unter ausländischen Anlegern gesorgt. Es muss jedoch zwischen privaten Immobilienentwicklern und den in Staatsbesitz befindlichen Bauunternehmen unterschieden werden. Erstere sind einem höheren Risiko ausgesetzt, da die Erholung der Immobilienpreise und -verkäufe möglicherweise nicht rechtzeitig genug erfolgt, um den Liquiditätsengpass abzufedern.

Fußnoten

  1. Quellen: Weltbank, Stand: Ende 2021. PBoC, Stand: Ende 2022.
  2. Quelle: Finanzministerium.
  3. Quelle: Ebd.
  4. Quelle: Reuters.
  5. Quelle: The Center for National Balance Sheets.
  6. Auf Grundlage der Daten der PBoC zu den Einlagen der privaten Haushalte per Februar 2023 und des Anstiegs der Ersparnisse um 56 % bei unveränderten Vermögenswerten und Verbindlichkeiten der privaten Haushalte gemäß dem Center for National Balance Sheets kann das „neue angenommene Nettovermögen“ berechnet und mit dem 2019 verzeichneten Nettovermögen verglichen werden.
  7. Quelle: National Bureau of Statistics, 2022.
Redaktion

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