Macron strebt neue EU-Verträge an

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Vor dem zu diesem Zweck in Straßburg tagenden Europäischen Parlament zündete der kürzlich wiedergewählte französische Präsident Emmanuel Macron vordergründig ein regelrechtes „Feuerwerk“ an Bekenntnissen zu Europa.

In Straßburg erntete er dafür stehende Ovationen. Nach Paris zurückgekehrt mußte er sich aber manche Schelte gefallen lassen, sowohl seitens der rechtskonservativen Marine Le Pen als auch des altlinken Jean-Luc Mélenchon. Man warf Macron u.a. vor, die französische Nation zu verraten und die Quittung dafür dürften er und seine Partei schon bei den im Juni stattfindenden Parlamentswahlen erhalten. Offenbar überhörte man in Straßburg und Paris gleichermaßen, daß Macron hinter lauten und leidenschaftlichen Pro-Europa-Parolen etwas leiser gesprochen Pläne und Absichten durchblicken ließ, die nahezu auf eine Abschaffung der Europäischen Union in ihrer derzeitigen Form hinauslaufen würden.

 

Aufnahme der Ukraine in die EU könnte noch Jahrzehnte dauern

Zunächst stellte er z.B. klar, daß eine EU-Aufnahme der Ukraine noch Jahre oder gar Jahrzehnte auf sich warten lassen könnte, obwohl diese selbstverständlich schon jetzt ein Teil der „europäischen Familie“ sei. Und dann zündete er eine bisher öffentlich kaum wahrgenommene politische Bombe, indem er die Gründung einer neuen Organisation in Form eines „Solidarischen Verbundes europäischer Staaten“ vorschlug, dem dann auch die Ukraine alsbald beitreten könnte. Und auch das aus der EU ausgetretene Großbritannien wurde zum Beitritt eingeladen. Gleich danach beklagte Macron das für wichtige Entscheidungen geltende Einstimmigkeitsprinzip. Entscheidungen kämen deshalb oft nur mit größter Mühe zustande, wobei sich gerade die Vertreter kleinerer Länder ihre Zustimmung mit Zugeständnissen aller anderen „bezahlen“ ließen, ließ Macron sinngemäß durchblicken.

Die Forderung nach einem Wechsel von der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen verband Macron darüber hinaus mit heftiger Kritik am gegenwärtigen EU-Ratssystem. Auch im Europäischen Rat, dessen Vorsitz Frankreich noch bis Ende Juni innehat, gilt das Einstimmigkeitsprinzip und die Regel, daß jedes Land unabhängig von seiner Größe eine Stimme hat. Würde man Macrons Gedanken zu Ende führen, landete man auch hier schnell bei der Forderung nach einer Einführung von Mehrheitsentscheidungen und einer Berücksichtigung der jeweiligen Landesgröße. De facto liefe dies für den EU-Rat auf ein System hinaus, in dem die Vertreter der etwa sechs größten EU-Staaten künftige Mehrheitsentscheidungen dominieren würden.

Macron möchte aus dem EU-Rat am liebsten eine EU-Regierung machen

Dies läuft den Ambitionen des EU-Parlaments zuwider, das permanent um eine Stärkung seiner Kompetenzen bemüht ist. Unter Leitung des früheren französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing kam es 2002/2003 schließlich auf EU-Ebene zu einem entsprechenden Verfassungskonvent, bei dem die einzelnen Regierungen der EU-Staaten sehr schnell den entscheidenden Schlußstrich zogen, indem sie für praktisch alle wichtigen EU-Entscheidungen das Zustimmungserfordernis durch den EU-Rat durchsetzten. Und jetzt, 20 Jahre später, erklärte Macron ganz offen, daß er den EU-Rat am liebsten zu einer „echten EU-Regierung“ – von Parlament und EU-Kommission weitgehend unabhängig – ausgebaut zu sehen wünsche. Grundsätzlich laufen Macrons öffentlich noch kaum wahrgenommene Forderungen auf eine Beschneidung der Kompetenzen sowohl des EU-Parlaments als auch der – demokratisch überhaupt kaum legitimierten – EU-Kommission hinaus. Noch während Frankreichs aktuell laufender EU-Ratspräsidentschaft möchte er einen Konvent zur entsprechenden Überarbeitung der EU-Verträge anstoßen. Dabei lohnt ein Rückblick auf das, was Giscard d’Estaing vor 20 Jahren erreichen wollte.

Schaut Macron zu sehen auf die Interessen und Vorteile von Frankreich?

Auch damals ging es vor allem um den Wunsch, maßgebliche EU-Entscheidungen wieder in die Hände der (im Gegensatz zu den Mitgliedern der EU-Kommission) demokratisch gewählten nationalen Regierungschefs zu legen, wobei vorab die Frage „Qui fait quoi?“ („Wer macht was?“) eindeutig beantwortet sein müsse. Man wollte schon damals klargestellt haben, für welche Aufgaben die EU-Kommission und/oder das Parlament zuständig sein sollen und für welche die nationalen Parlamente und Regierungen der Mitgliedsstaaten alleinverantwortlich bleiben. Und die damaligen Befürworter des Konvents hielten es schon damals für „unerträglich“, daß zentrale Planungsstellen der EU in die nationalstaatliche Autonomie auch in Bereichen eingreifen, in denen die EU – noch – gar nicht zuständig ist. Vor 20 Jahren kam das entscheidende „Nein“ zur Reform der EU vom damaligen französischen Präsidenten Jaques Chirac. Daß jetzt Macron diese Gedanken zumindest sinngemäß wieder aufgreift, könnte man sehr begrüßen, wenn der ehrgeizige Präsident dabei nicht zu sehr auf eigene bzw. Frankreichs Vorteile und Ambitionen geschielt hätte . . . (tb)


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