Das Bundesverfassungsgericht und die verlorene Wächterfunktion

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Was seitens der Ende November noch geschäftsführenden Bundesregierung erhofft und von mindestens 8000 Antragstellern befürchtet wurde, trat am letzten Novembertag ein: Das Bundesverfassungsgericht winkte in seinen an diesem Tag veröffentlichten Beschlüssen alle bisher strittigen Corona-Maßnahmen gewissermaßen durch.

Grundrechte sind nicht verhandelbar. Eigentlich.

Es übernahm dabei, so wissen es jedenfalls kritische Top-Juristen – die aus verständlichen Gründen lieber ungenannt bleiben möchten – zu berichten, über weite Passagen die in den Klageerwiderungen der Bundesregierung aufgeführten Argumente. Es ging bei den Verfahren um nicht weniger als die verfassungsrechtliche Beurteilung der Frage, inwieweit der freiheitliche Rechtsstaat Deutschland die eigentlich nicht verhandelbaren Grundrechte seiner Bürger (einschließlich der Gewerbefreiheit) beschneiden darf, um dadurch der Allgemeinheit einen gewissen Schutz zu bieten (in diesem Fall gegen die Corona-Pandemie).

Begründung nach Standard-Schema auf Uni-Niveau

In ihren beiden Begründungsschreiben (von 124 bzw. 85 Seiten) arbeiteten die deutschen Verfassungsrichter diese Frage nach einem Standard-Schema ab, so als ob es eine Jura-Klausur wäre. Eine echte Auseinandersetzung mit den von den zahlreichen Klägern vorgebrachten Argumenten fand dabei so gut wie gar nicht statt. Das Gericht sah sogar die nächtlichen Ausgangssperren als zulässig an, obwohl nachts und draußen bekanntermaßen so gut wie keine Infektionsgefahr bestand und besteht. Die Ausgangsbeschränkungen dienten lediglich dazu, ebenfalls verbotene Treffen in Innenräumen zu verhindern, um damit „Vater Staat“ die Kontrolle zu erleichtern …

Grundsätzlicher Bildungsanspruch, aber …

Zu den Schulschließungen stellten die Richter zwar den grundsätzlichen Bildungsanspruch der Kinder fest. Doch auch dieses Recht durfte laut Gericht in schwerwiegender Weise eingeschränkt werden, weil es ja um Leben und Gesundheit gegangen sei. Es sei dann eben Aufgabe der Kultusbehörden und der Lehrer gewesen, für einen angemessenen Distanzunterricht zu sorgen. Dass der mancherorten zu sehr in sich ruhende (um es vorsichtig zu umschreiben) Verwaltungsapparat dabei völlig überfordert war, interessierte das Gericht genauso wenig wie die seitdem in die Höhe geschnellte Zahl von Kindern mit psychischen Problemen oder gravierenden Wissenslücken, was auch der eigentlich zu gewährleistenden Chancengleichheit überaus abträglich war. Fachlich instruieren ließen sich die Verfassungsrichter dabei teilweise von denselben „fachkundigen Dritten“, die schon zuvor die Bundesregierung beraten hatten. In diesen Fällen wurde der sprichwörtliche Bock zum Gärtner gemacht. Denn welcher „fachkundige Dritte“ widerspricht sich schon gerne selber?

Zweifel an Wächterfunktion angebracht

Das Verfassungsgericht wies aber auch auf die seitdem veränderten Rahmenbedingungen hin. Inzwischen gibt es z.B. Impfstoffe und man weiß mit ziemlicher Sicherheit, dass Kinder durch Corona selbst kaum gefährdet sind. Ab sofort sollten sich die politischen Entscheider deshalb darüber im Klaren sein, dass manche ihrer alten – und oft genug wirkungslosen – Maßnahmen jetzt in einem anderen Licht beurteilt werden müssten. Doch können wir Bürger uns auf die dazu erforderliche „Wächterfunktion“ unserer Verfassungsrichter noch uneingeschränkt verlassen? Zweifel sind leider angebracht – spätestens seit bekannt geworden war, dass Merkel während der Beratungs- und Verhandlungszeit der zahlreichen „Corona-Eingaben“ etliche Verfassungsrichter zu einem zwanglosen, informellen Treffen im Bundeskanzleramt eingeladen hatte. Von richterlichen Bedenken, diese Einladung anzunehmen, wurde bisher jedenfalls nichts bekannt. (tb)


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